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Das giftige Herz

Das giftige Herz

Titel: Das giftige Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Doyle
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entgegnete Schaller.
    »Für einen Industriellen mag das stimmen, aber ein Handwerker ist mit dem Herzen bei der Sache.«
    »Mit dem Herzen kann man keine Fabriken betreiben.«
    »Nein«, sagte Pistoux. »Wohl kaum. Damit haben Sie sich Ihre Antwort schon selbst gegeben.«
    »Die Antwort?«
    »Friedrich Dunkels Antwort auf Ihr Angebot, wenn er hier stünde, würde nein lauten, denn er ist mit dem Herzen bei der Sache.«
    »Sie sprechen für Bäckermeister Dunkel? Sie, ein Illegaler, für den sich womöglich bald die Bäckerinnung interessieren wird?«, sagte er mit drohendem Unterton.
    »Einer muss ja für ihn sprechen.«
    »Unterstehen Sie sich!«, rief die Bäckersfrau plötzlich laut. »Halten Sie den Mund! Ich spreche für meinen Mann, ich! Sonst niemand!«
    »Aber Madame, sehen Sie denn nicht, was dieser Mensch hier bezweckt, er nutzt Ihre Notlage aus …«
    »Still! Sie sind derjenige, der eine Lage ausnutzt, Herr Pistoux. Ich verbiete Ihnen jedes weitere Wort. Hinaus!« Frau Dunkel war vor Zorn krebsrot angelaufen.
    »Madame«, versuchte Pistoux noch einmal. »Dieser … Fabrikant … will Ihnen Ihre Handwerksehre stehlen, ihre Rezepte noch dazu und den guten Namen.«
    »Ziehen Sie meinen Namen nicht in den Schmutz, Sie … Franzose. Gehen Sie mir aus den Augen.«
    Pistoux bemerkte das höhnische Grinsen auf Schallers Gesicht. Aber was sollte er jetzt noch tun? Er war machtlos. Es war nicht seine Angelegenheit. Er arbeitete gern hier und wusste längst, dass Bäcker Dunkel nicht bloß ein Handwerker war, sondern ein Bäcker aus Leidenschaft, ein wahrer Künstler. Seine treuen Nürnberger Kunden wussten dies auch. Und nun wollte dieser Fabrikant Dunkels Notlage nutzen, ihm den guten Namen abpressen und seine Kunstfertigkeit zur Herstellung von Industrieprodukten missbrauchen. Dunkels naive Ehefrau ging dem Fabrikanten in die Falle, und Pistoux erschrak, als er die Tragweite dieses Gedankens erkannte. Er öffnete schon den Mund, um weiterzuargumentieren, aber die Bäckersfrau schrie ihn jetzt mit tränenerstickter Stimme an: »Hinaus, Unseliger! Gehen Sie!«
    Beinahe hätte sie das Lebkuchenhaus, das sie in mühsamer Kleinarbeit zusammengebaut und dekoriert hatte, vom Tisch gefegt.
    Pistoux gab auf. Wortlos drehte er sich um und verließ die Backstube. Sollte er nicht lieber seine Sachen packen und sich auf den Weg machen? Wäre es nicht besser, Nürnberg zu verlassen, bevor er womöglich in eine Intrige hineingezogen wurde, die ihn nichts anging?
    Kaum war er im Laden angelangt, prasselten Schneebälle gegen das Schaufenster. Pistoux schrak zusammen und starrte nach draußen. Eine zweite Ladung Schneebälle knallte gegen die Scheibe und brachte das Glas zum Vibrieren. Ein Schneeball durchschlug das Oberlicht der Ladentür und landete zusammen mit Glassplittern auf dem Verkaufstresen.
    Pistoux rannte wutentbrannt zur Tür und riss sie auf. Ein Schneeball traf ihn am Kopf, ein zweiter an der Schulter, ein dritter am Arm. Benommen wischte er sich den Schnee aus den Augen. »Was soll das?«
    Vor ihm mitten auf der Gasse standen drei zerlumpte Jungen mit Bergen von Schneebällen vor sich. Es sah aus, als wollten Sie die Bäckerei belagern.
    Der größte von ihnen trat einen Schritt vor. In jeder Hand hielt er drohend einen dicken Schneeball.
    »Wo ist Niemand?«, fragte er.

15 CARTE BLANCHE
    »Schaller? Sie wollen den Schaller verhören? Das halte ich für keine gute Idee.« Oberrat Schreiber schüttelte missbilligend den Kopf. Er saß hinter einem mächtigen Schreibtisch in einem nicht weniger mächtigen Ledersessel und unterzeichnete, während er sprach, einen Brief nach dem anderen, nachdem er sie jeweils kurz überflogen hatte. Nach jeder Unterschrift tauchte er den Federhalter in das vor ihm stehende Tintenfass und achtete akribisch darauf, dass kein Tintentropfen auf die blank gewienerte Schreibtischoberfläche fiel. Außer den Papieren stand nur noch eine große Holzschale mit verschiedenartigen Lebkuchen auf dem Tisch. Hinter dem Oberrat hing das Porträt von König Ludwig II. an der Wand.
    »Aber er kannte den Ermordeten offenbar sehr gut.«
    »Das allerdings ist mir in der Tat neu.«
    »Na, sehen Sie!«, ereiferte sich Inspektor Wanner.
    »Was heißt da: Na, sehen Sie?«
    »Er war mit ihm sehr gut bekannt, aber keiner wusste davon.«
    »Na, so geheim kann es nun auch wieder nicht gewesen sein.«
    »Aber man würde nicht sofort denken, dass die beiden etwas miteinander zu tun hatten, oder?«
    Oberrat

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