Das gläserne Paradies
Christbaumschmuck blasen! Man hätte meinen können, der neue Hüttenchef habe von Karl verlangt, daà er nackt durchs Dorf läuft! Was für ein Glück, daà mein Bruder sein Angebot aufrechterhalten hat und Karl nun Pfeifenköpfe aus Porzellan für ihn bemalen kann. Der Lohn ist zwar mager, aber es ist besser als nichts.« Statt über diese neue Chance froh zu sein, sei ihr Mann allerdings sehr verstockt und würde nur noch das Nötigste reden, fügte Maria seufzend hinzu.
Eva nickte verständnisvoll, woraufhin sich Maria ein wenig besser fühlte. Sie tätschelte Evas Hand, als brauche Eva selbst auch Trost, und sagte: »Richte Wanda aus, daà ich trotz allem dankbar bin für alles, was sie für uns getan hat! Wenigstens hat sie versucht, uns zu helfen. Und es ⦠es hätte ja auch gutgehen können.« Noch während sie sich zum Gehen wandte, flossen erneut die Tränen. Den Mund zu einem schmalen Schlitz zusammengekniffen, schaute Eva ihr nach.
»Schönen Gruà von Maria Schweizer, ihr Karl hat gekündigt, bemalt nun Pfeifenköpfe für den Schwager und spricht seitdem kein Wort mehr«, sagte Eva, als ihr Wanda im Flur begegnete. Wanda, die gerade auf dem Weg in die Küche war, um sich Wasser zum Waschen warm zu machen, ging daraufhin ungewaschen in ihr Zimmer zurück. Der Nebel um sie herum wurde noch dichter.
Der Nebel schützte sie vor der Nachricht, daà Gustav Müller Sohn nicht nur seinen verantwortungsvollen Posten als Sortierer in der Glashütte verloren hatte, sondern auch seinen allseits so geschätzten Frohsinn. Der Mann, den alle wegen seines ausgleichenden Wesens schätzten, wurde in sich gekehrt und verzagt, dafür hallte allabendlich das Gezeter seiner Frau durch die Gasse.
Wie hätte Wanda, die ihr Zimmer nicht verlieÃ, erfahren sollen, daà die Stimmung im »Schwarzen Adler« allabendlich so launisch war wie das Wetter im April? Manchmal zornig und aufgeheizt, dann wieder deprimiert und düster. Natürlich waren die Veränderungen in der Gründler-Hütte inzwischen das Gesprächsthema Nummer eins, aber auch Wandas Name wurde nach wie vor genannt. »Schickt mir doch eure Wortführerin!« habe Strobel gesagt, als einige der Männer den Mut gefaÃt hatten, sich bei ihm über die neue Arbeitseinteilung zu beschweren. »Täusche ich mich, oder war es Fräulein Miles, der ihr das alles zu verdanken habt?« Lachend habe Strobel seine Arbeiter mit diesen Worten stehenlassen.
Thomasâ Versuche, Wanda aus ihrer Isolation zu holen, wurden spärlicher, er selbst wurde von Tag zu Tag ratloser. Trotz Evas Protest brachte er Wanda jeden Tag nach dem Mittagessen das Kind. Das herzerfrischende Lachen derKleinen konnte Wanda doch nicht völlig kaltlassen! Doch wenn er dann sah, wie lustlos sich seine Tochter mit Sylvie abgab, tat ihm die Kleine leid, und er brachte sie kurze Zeit später wieder zu Eva zurück, die sie sofort besitzergreifend an den Busen drückte.
Auch fürs Geschäft interessierte sich Wanda nicht. Daà Michel und er beim Verpacken der Waren gut ein weiteres Paar Hände hätten gebrauchen können, war ihr offenbar gleichgültig.
Also beschloà Thomas, sie in Ruhe zu lassen. Zu Eva sagte er, sie solle keinen Besuch mehr ankündigen. Irgendwann würde Wanda schon von selbst wieder auf sie zukommen.
So bekam Wanda nicht mit, daà David Wagner alle paar Tage gegen Abend auftauchte und von Eva abgewiesen wurde.
Dabei dachte Wanda oft an ihn. Und sie dachte an die Berge von Zeitschriften auf seinem Schreibtisch. Daran, wie sie versucht hatten, sich gegenseitig beim Erspähen von wichtigen Nachrichten zu übertrumpfen. Eine aufregende Zeit war das gewesen â¦
Hatte sie sich auch in David getäuscht? Hatte sie ihrer Beziehung zuviel Bedeutung beigemessen? Hatte es diese Vertrautheit gar nicht gegeben?
Wenigstens einmal konnte er sich doch nach ihr erkundigen! Ihm hätte sie vielleicht sagen können, wie es in ihr aussah. Daà sie krampfhaft versuchte, sich zusammenzureiÃen. Daà ihr dies jedoch nicht gelang. Sie konnte sich einfach nicht aufraffen, ihr Zimmer zu verlassen und ins Leben zurückzukehren.
Wanda bekam auch nicht mit, daà es am Stammtisch im »Schwarzen Adler« neben all den Stimmen, die verfluchten, auch viele andere gab. Wie die von Christoph Stanzer, der das gleiche sagte wie
Weitere Kostenlose Bücher