Das gläserne Paradies
sehen, behielt sie für sich. Wanda ⦠In ihrer Haut wollte Anna derzeit gewià nicht stecken! Irgendwie tat die Cousine ihr fast schon leid.
»Das ganze Geld der Glasbläser ist weg? Wie schrecklich â¦Â«
Anna nickte grimmig, bis ihr einfiel, daà ihre Mutter sie ja nicht sehen konnte. »Ich komme ja gleich!« rief sie, als Johannes seinen Kopf durch die Werkstattür steckte und ihr heftig zuwinkte. Demonstrativ drehte sie ihm den Rücken zu. Vielleicht war es besser, die Eltern doch schon jetzt auf die schlechte Stimmung in Lauscha vorzubereiten? Und Tante Ruth von Wandas unrühmlicher Rolle in dem Drama zu berichten? Anna holte noch einmal Luft.
»Im âºSchwarzen Adlerâ¹ hat es gestern abend jedenfalls kein anderes Thema gegeben. Natürlich geben einige allein Wanda die Schuld, was ich ehrlich gesagt ein biÃchen unfair finde. Ich meine, es sind doch erwachsene Männer, oder? Es war doch auch ihre Entscheidung, sich auf das Geschäft einzulassen! Wanda hat sich nirgendwo blicken lassen, seit sie aus Sonneberg zurückgekommen ist. Da ist es für die Leute ein leichtes, ihr den Schwarzen Peter zuzuschieben.«
In Annas Ohr knackte, rauschte und summte es heftig, dazwischen erreichten sie ein paar Wortfetzen, aufgeregt und schrill. Ach, wie sie das Telefonieren haÃte!
»Die arme Wanda«, seufzte sie in der Hoffnung, daà auch am anderen Ende der Leitung etwas Ãhnliches gesagt worden war. »Hallo? Hört ihr mich noch? Jedenfalls ⦠Mit dem neuen Chef scheint in der Gründler-Hütte ein ziemlich rauher Wind zu blasen. Dieser Friedhelm Strobel hat wohl gleich an seinem ersten Tag â«
»Strobel? Friedhelm Strobel? Der ⦠Verleger?«
Stirnrunzelnd hielt Anna den Telefonhörer ein wenig auf Abstand. MuÃte Mutter ihr derart ins Ohr kreischen?
»Ja, ausgerechnet der Verleger, mit dem ihr nie etwas zu tun haben wolltet. Ihm gehört jetzt die Gründler-Hütte. Alois Gründler hat Lauscha ja klammheimlich verlassen und â«
»Strobel ⦠Nein !« Johannas Schrei schaffte es über die Entfernung von Tausenden von Meilen, daà sich auf Annas Armen die Härchen aufrichteten.
43. K APITEL
Ratlos stand Thomas Heimer vor dem Zimmer seiner Tochter. Schon dreimal hatte er geklopft, zuerst zaghaft, dann lauter, das dritte Mal mit der ganzen Faust gegen die Tür gehämmert. Drinnen rührte sich nichts. Schlief Wanda? Oder stellte sie sich tot, so wie sie es tat, seit er sie aus Sonneberg geholt hatte?
Sonneberg ⦠Noch immer wurde ihm ganz anders zumute, wenn er daran dachte, was der Buchhändler ihm berichtet hatte. Seine stolze, schöne Tochter! Sein Kind! Hatte sich vor einen Zug werfen wollen! Allein die Vorstellung war mehr, als Thomas ertrug. Sie war so schrecklich, daà er beschloÃ, niemandem davon zu erzählen. »Wanda hat einen Schwächeanfall erlitten«, hatte er zu Eva und Michel gesagt. Auch Richard wuÃte nichts von den wahren Begebenheiten. Sie hatten gerade nach Sonneberg aufbrechen wollen, als Gotthilf Täuber mit »wichtigen« Unterlagen aufgetaucht war. Ehe Thomas etwas sagen konnte, hatte Täuber den jungen Glasbläser in seine Kutsche gezerrt und war mit ihm Richtung Meiningen davongefahren. Und Thomas war mit David Wagner nach Sonneberg aufgebrochen, um seine Tochter nach Hause zu holen. Erst als sie im Zug saÃen, hatte der Bankbeamte erzählt, was er vom Buchhändler erfahren hatte.
Nun starrte Thomas auf das Glas Wasser in seiner Hand â am liebsten hätte er es selbst in einem Zug ausgetrunken. Sein Schädel pochte, seine Zunge war dick und irgendwie pelzig. Warum, verdammt noch mal, hatte er gestern im »Schwarzen Adler« soviel trinken müssen?
Laut Eva hatte sich Wanda den ganzen Morgen übernicht in der Küche blicken lassen. Das Glas Wasser war sein Vorwand, sie aufzusuchen.
»Von mir aus kann sie hungern, solange sie will, aber so kommt sie nach ihrem Schwächeanfall gewià nicht wieder zu Kräften!« hatte Eva ihm zugezischt. »Sie braucht sich nicht einzubilden, ich würde sie bedienen. Als ob ich mit Wilhelm und dem ganzen Haushalt nicht schon genug zu tun hätte! Und was mit Sylvie ist, interessiert sie offenbar auch nicht mehr! Das arme Kind â¦Â«
»Halt doch einfach den Mund!« hätte Thomas am liebsten gesagt. Doch er hatte sich die
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