Das gläserne Tor
stolz darauf, dass er aus einem Sklaven einen Krieger gemacht hat, von dem viele glauben, er sei der Erste der Zehn. Da möchte er im Nachhinein natürlich gerne recht behalten. Andererseits, wie sähe es aus, wenn Mallayur den Sieg davontrüge? Ach, es ist verzwickt, und Mallayur weiß ganz genau, wie er ihn ärgern kann.«
»Mich ärgert er damit auch, aber das weiß er vermutlich nicht, und wenn, wäre es ihm egal.«
»Ach, Grazia.« Fidya stand auf, beugte sich über sie und strich über ihre Wange. »Deshalb weine doch nicht.«
Grazia hatte gar nicht bemerkt, dass ihr die Tränen liefen. Immer diese Heulerei! Sie zog ihr Taschentuch aus dem Ausschnitt und schnäuzte mit aller gebotenen Lautstärke hinein. »Wann findet der Kampf denn statt?«
»In sieben Tagen, am Fest des Götterpaares.«
»Eine ganze Woche Angst.«
»Keine ganze Woche. Nur sieben Tage.«
Hilflos lächelte Grazia. »Dann eben sieben Tage. Schlimm genug. Zumal sie hier so lang sind.« Sie dachte an Henon, der wohl irgendwo auf dem Korridor kauerte und keine Ahnung von dem hatte, was Anschar bevorstand. Ihn zu beruhigen, würde keine leichte Aufgabe sein.
Fidya setzte sich neben sie und ergriff ihre Hand. »Ich vertreibe dir schon die Zeit. Und du mir. Erzähl mir doch noch einmal von der Prachtstraße in deiner Stadt und von dem Großkönig, der sie immer entlangfährt. Und von der goldenen Göttin auf der Säule. Ist sie wirklich so groß, wie du gesagt hast? Ich kann mir das immer noch nicht vorstellen.«
13
D er Tag des Zweikampfes brach an. Anschar stand an der Klippe, unter sich die schwebende Stadt, und sah zu, wie sich die Wüste mit der aufgehenden Sonne langsam rot färbte. Er hatte schlecht geschlafen, was ihn mehr als alles andere beunruhigte, und er hoffte, dass es Darur ähnlich ergangen war. Wie Darur wohl den Morgen zubrachte? So gut sich die Zehn kannten, keiner wusste vom anderen, was er empfand, wenn er zu einem Zweikampf auf Leben und Tod antrat. Keiner von ihnen hatte es bisher tun müssen.
Anschar stieg zu Schelgiurs Hütte hinab und stieß die Tür auf. Wie er es erwartet hatte, war sie um diese Zeit noch leer. Schelgiur sprang aus seiner Kammer, die er oberhalb des Schankraums bewohnte, und kratzte sich die zotteligen Haare.
»He, bisschen früh, oder? Anschar, du? Da möge sich doch der Boden auftun und mich in die Tiefe stürzen lassen! Dass ich dich noch einmal wiedersehe. Eigentlich hatte ich früher damit gerechnet, dass du meine feine Gaststätte besuchen kommst, denn seit wann werden Sklaven weggesperrt?«
»Schelgiur.« Anschar schob sich auf seine bevorzugte Bank und bot ihm die Hand. Der Wirt schlug ein. »Wie sieht’s aus, hast du ein Bier für mich? Bezahlen kann ich es nicht.«
»Natürlich.« Augenblicklich stieg Schelgiur in seine Höhlennische, um zwei große Becher heranzutragen. Er setzte sich zu ihm und schob ihm einen Becher hin. Es war das teuerste Bier, wie Anschar erfreut bemerkte. Dankend nickte er ihm zu und nahm einen tiefen Schluck.
»Ich darf den Palast nicht ohne Erlaubnis verlassen«, setzte er tief seufzend an. »Und einen Grund, mir die zu verschaffen, finde ich nicht so ohne Weiteres. Mallayur hütet mich wie seinen Augapfel. Heute stehen die Dinge jedoch anders, denn er ist ganz bei dem bevorstehenden Zweikampf, und da war er so gnädig, mich von der Leine zu lassen, damit ich in die schwebende Stadt darf. Ein letztes Mal wollte ich hier sitzen und ein Bier trinken, bevor ich mich aufmache, in den Tod zu gehen. Nun ja, damit rechne ich nicht, aber weiß man’s?«
»Allmächtige Hinarsya«, murmelte Schelgiur und räusperte sich, als bleibe ihm vor lauter Rührung die Stimme weg. »Du wirst siegen.«
»Ja, ja.« Anschar winkte ab. »Wie geht es hier bei dir denn so zu? Nimmt alles seinen gewohnten Gang? Weib und Kinder wohlauf?«
»Hier hat sich nichts verändert. Das Leben als Wirt in der schwebenden Stadt ist wirklich das denkbar langweiligste. Abgesehen von den letzten Tagen; die Leute reden über nichts anderes als diesen Kampf, und das macht die Kehlen durstig. Eigentlich schade, dass er so kurzfristig angekündigt wurde. Oh, bevor ich es vergesse: Henon war hier. Schon fünfmal in den letzten Wochen.«
»Henon? Wieso denn das? Er war doch noch nie ohne mich hier.«
»Er – das heißt, seine Herrin, die Rothaarige – will wissen, wann der heilige Mann zurückkommt. Wie es scheint, will sie ihn so schnell wie möglich aufsuchen, sobald er wieder im Lande
Weitere Kostenlose Bücher