Das gläserne Tor
eingelassen.
Geeryu lächelte ihn auf eine Weise an, die ihn abstieß. »Bei diesem Fest wird es nach langer Zeit wieder einen Zweikampf ihnen zu Ehren geben, bei denen einer als Opfer für sie fällt.«
Ihm wich das Blut aus dem Gesicht. Nur langsam drang in sein Bewusstsein vor, was sie gesagt hatte. Darauf hatte sie es angelegt? Dass er ihr den besten Gegner nannte, den es gab? »Ich soll gegen Darur kämpfen?«
»Ja.«
»Herrin, die Götter wollen die Zweikämpfe nicht sehen, und deshalb verlor sich dieses Ritual. Es wieder zum Leben zu erwecken, wird den Fluch nicht aufhalten.«
»Wer bist du, das beurteilen zu können? Du lebst, um zu kämpfen. Was also stört dich daran?« Ihr Tonfall verriet, dass sie keine Antwort erwartete und er auch keine mehr geben durfte. »Solltest du dann noch Schmerzen in deiner Hand haben, dürften die dich ja eher beflügeln, oder?«
»Du blutrünstige …«, setzte er an, da machte sie eine wegwerfende Handbewegung. Der Gelbschwanz, der in zwei Schritten Entfernung übers Gras gehüpft war, fiel auf den Rücken und blieb regungslos liegen, als sei er gegen eine unsichtbare Mauer geprallt. Was immer Anschar sagen wollte, blieb ihm in der Kehle stecken.
Sie hat eine göttliche Kraft, dachte er. So wie Grazia kann sie irgendetwas machen.
Sie war die Nihaye.
»Du hast es begriffen, ja?« Ihre silbernen Augen leuchteten vor Zorn. »Wage es nicht, mich zu beleidigen! Dafür sollte ich dich bis aufs Blut peitschen lassen! Und nun geh.«
Diesem Befehl folgte er nur zu gern. Ohne eine weitere Verbeugung eilte er auf die Tür zu, die zum Sklaventrakt führte. Dort warf er einen Blick zurück. Geeryu hatte sich erhoben und lief in die entgegengesetzte Richtung, wo Mallayur wartete, der sie in die Arme schloss und küsste. Anschar wandte sich ab. Er schüttelte sich vor Abscheu. Eine Nihaye! Nun hatte diese Frau ihm auch noch den Garten vergällt. Aber das war sein kleinstes Problem. Während er sich auf den Weg hinunter in die Felsenkeller machte, raufte er sich die Haare. Darur, dachte er. Ihr Götter, Darur! Warum hatte er nicht geschwiegen? Damit hätte er zwar nichts verhindert und sich eine Auspeitschung eingehandelt, aber die wäre erträglicher gewesen als dieses schale Gefühl des Verrats.
Die Zeit, sich in Felsengrasarbeiten geübt zu haben, war nicht umsonst gewesen. Einigermaßen zufrieden mit ihrer Arbeit betrachtete Grazia den Fächer, den sie sich geflochten hatte. Natürlich ließ er sich nicht zusammenklappen, aber das machte nichts. Zu den Bastschnüren hatte sie noch ein Kistchen voller bunter Vogelfedern bekommen. Sie steckte abwechselnd blaue und rote Federn in den Rand und betrachtete ihr Werk. Probehalber fächelte sie sich Luft zu. Die Federn hielten.
»Man kommt auf seltsame Gedanken, wenn man Zeit hat.« Über den Rand des Fächers hinweg warf sie Henon, der ihr schweigend zugesehen hatte, einen hingebungsvollen Blick zu. Sie stellte sich vor, bei einer Soiree mit diesem Fächer
zu kokettieren und dabei Klaviermusik zu lauschen. Oder wenigstens den misslungenen Übungen ihres Bruders, der wöchentlich von einer strengen Klavierlehrerin gepeinigt wurde.
Auch hier gab es Musik zu hören. Die Argaden kannten Flöten, Schellentrommeln und Leiern – ihre Melodien hingen allabendlich in der Luft, wenn Grazia auf der Terrasse stand, aber erfreuen konnte sie sich daran selten. Die aus den Winkeln der Paläste heraufschwebende Musik erinnerte sie daran, dass sie eingesperrt war, gemeinsam mit einem schweigsamen Leibwächter und einem alten Mann. Ab und zu kam Fidya und brachte ein Brettspiel mit. Dann musste Grazia mit ihr um Könige aus Halbedelsteinen und Sklaven aus Holz spielen, sie mit ihrem klaren, kühlen Wasser versorgen und aus ihrem Leben erzählen, von dem Gott auf dem Steg und von ihrer Reise mit Anschar. Das Kanarienvögelchen konnte nicht genug davon bekommen. Es half wenigstens, sie abzulenken.
»Ach, Justus«, murmelte sie und verbarg das Gesicht hinter dem Fächer, um die aufkommenden Tränen zu verbergen. Wie viele Klavierstunden hatte er wohl inzwischen hinter sich gebracht? Grazia versuchte nachzurechnen, wie lange sie jetzt hier war. Es fiel ihr zunehmend schwerer. Schließlich kam sie zu dem Ergebnis, dass es viel zu lange war. »Wenn ich mich wenigstens hätte verabschieden können! Dann wäre es leichter auszuhalten.«
Henons Augen wurden rund. Da erst bemerkte sie, dass sie auf Deutsch geplappert hatte.
»Entschuldige«, sagte sie
Weitere Kostenlose Bücher