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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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das auch aussprechen wollte, als gedämpft durch die Tür die lang erwartete Fanfare zu hören war. Darur stemmte sich hoch und faltete seine baumlange Gestalt mit einem Knurren auseinander.
    »Dann lass uns beginnen, Freund«, sagte er tonlos und ging auf die Tür zu. Anschar hielt ihn auf, indem er die Faust gegen Darurs Brustpanzer drückte.
    »Ich hatte noch keine Gelegenheit, dich um etwas zu bitten«, fing er an und schüttelte hilflos den Kopf, sodass die Zöpfe flogen. »Darur. Pass auf sie auf.«
    »Das tue ich doch. Das ist meine Aufgabe.«
    »Aber ich möchte, dass es mehr als deine Aufgabe ist. Verstehst du?«
    Darur nickte langsam. »Ich gebe mein Bestes.«
    »Danke.« Anschar öffnete die Faust. Nach einer kurzen Besinnungszeit schlug Darur ein. Dann wandte sich Anschar um und stieß die Tür auf. Für einen Augenblick sah er sich von der Sonne geblendet, und er musste kurz warten, bevor er sich auf diesen unberechenbaren Boden wagte. Vorsichtig schritten sie in die Arena, jeder in eine andere Richtung. Sildyu stand in der Mitte, eingehüllt in ein weißes Gewand, das nur ihre Arme frei ließ. Der Wind, der beständig durch den Kessel pfiff, ließ es aufflattern und über ihre Waden streichen. Der Federkopfputz erzitterte. Sie reckte die Arme hoch und hielt die Handflächen der Sonne entgegen.

    »Möge das göttliche Paar Inar und Hinarsya zusehen, wie die Menschen ihr Blut vergießen, um sie zu erfreuen. Mögen die zwei freien Götter der Dreiheit dem Duft des Blutes folgen, um sich an ihm zu stärken. Und möge auch zu dem letzten Gott in seinem Gefängnis der Duft dringen, auf dass er ihn tröste. Kämpft gut, ihr Männer. Gebt ihnen das Beste, was ihr habt. Alles andere würde sie beleidigen, denkt daran.«
    Während der Anbetung sah sich Anschar unauffällig um. Mallayur und seine merkwürdige Buhle hasteten soeben in unziemlicher Eile zu den königlichen Plätzen im Schatten der mächtigen Zeder, die den kleinen Rundbau überragte, und setzten sich. Unmittelbar hinter ihnen entdeckte Anschar einen roten Schopf. Er hatte es befürchtet. Grazias Anwesenheit würde ihn zwar nicht ablenken, aber er hasste den Gedanken, dass sie ihm möglicherweise beim Sterben zusah.

    Grazia war beim Anblick der Arena zutiefst entsetzt. Sie hatte einen ebenen, mit Sand oder Stroh bestreuten Boden erwartet, doch was sie erblickte, war ein Felsenkrater. Am tiefsten Punkt stand die Königsgemahlin und betete ihre heidnischen Götter an. Anschar und Darur hatten sich dicht unterhalb der hölzernen Wand aufgestellt, zwischen sich ein trichterförmiger, vielleicht zwanzig Meter langer Kampfplatz, dessen abfallende Wände schrundig und scharfkantig waren. Drei Meter über ihren Köpfen beugten sich die Zuschauer erwartungsvoll über eine hölzerne Brüstung. Sie wies zahllose, von Schaukämpfen und Tierhetzen stammende Kratzer und Flecken auf.
    »Fidya!« Grazia umfasste die Hand ihrer Begleiterin. »Sie sollen barfuß kämpfen? Auf diesem Boden? Sie werden sich die Füße aufschneiden!«

    Fidya öffnete den Mund, doch bevor sie antworten konnte, drehte sich der Mann um, der vor ihnen saß. Es war niemand anderer als Mallayur. Sein mit Perlen verzierter Ziegenbart zitterte, als er leise lachte.
    »Es soll ja auch Blut fließen«, erwiderte er. »Was sonst sollte die Götter anlocken? Und, glaube mir, es zahlt sich auch für die Zuschauer aus.«
    Er widmete ihr einen langen Blick, den sie nicht zu deuten wusste, und richtete die Aufmerksamkeit wieder auf die Arena. Doch nun wurde sie von der Frau an seiner Seite gemustert. Ihr Gesicht war von einer seidigen Kapuze beschattet, unter der Grazia seltsam glänzende Augen zu erkennen glaubte. Plötzlich wünschte sie sich, woanders zu sitzen, aber dieser Platz war ihr vom Meya zugewiesen worden. Sie zog die eigene Kapuze ihres Mantels über den Kopf, obwohl die Zeder hinter ihr für Schatten sorgte, und warf einen Blick zu Fidya, doch dem Vögelchen schien nichts aufgefallen zu sein. Endlich wandte die Frau sich wieder nach vorne.
    »Sehen sie nicht prächtig aus?«, hauchte Fidya begeistert. »Die großen Krieger der Vergangenheit können nicht furchterregender gewesen sein.«
    Das hier ist die Vergangenheit, dachte Grazia. Der Anblick dieser archaischen Kämpfer war in der Tat beeindruckend. Wäre nicht die Enge der kleinen Arena, könnte sie glauben, eine Szenerie aus einer klassischen Sage vor sich zu haben. Nein, nicht ganz, dazu waren die Brustpanzer und Beinschienen,

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