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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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wenngleich von schlichter Form, zu wenig griechisch, und Anschars Gürtel mit den vier herabhängenden Lederbändern, die mit silbernen Schlangen verziert waren, zu wenig römisch. Die beiden Männer trugen auch keine Helme oder Schilde. Aber sie strahlten unzweifelhaft etwas Homerisches aus. Dazu Sildyu in ihrem weißen flatternden Gewand, sie war selbst eine homerische Göttin – Athene, die den Zweikampf
zwischen Achilleus und Hektor überwachte. Und gab der Meya, der alles von seiner erhöhten Warte aus beobachtete, nicht auch ohne Bart einen prächtigen Zeus ab?
    Grazia steckte einen Daumennagel zwischen die Zähne, als Sildyu vorsichtigen Schrittes die Arena durch eine schmale Pforte in der Wand verließ. Die dummen Gedanken waren wie fortgeblasen. Es wurde ernst. Das da unten waren keine Sagenhelden. Das waren Männer, die sie kannte und mochte.
    Stille hatte sich ausgebreitet, nur hier und da war von den voll besetzten Rängen leises Getuschel oder nervöses Husten zu vernehmen. Beide Männer machten zwei langsame Schritte vorwärts und senkten ihre Speere. Sie hielten sie mit beiden Händen, wie Spieße, und stürmten aufeinander los. Grazia bemerkte, wie ihre Blicke hin und her flogen, vom Gegner zu dem schwierigen Boden und zurück. Darur hob den Speer über die Schulter und schleuderte ihn. Anschar duckte sich, sprang über den Boden des Kraters hinweg und reckte seinen Speer nach oben, um ihn Darur in den Bauch zu stoßen. Doch der wich nicht weniger geschickt seitwärts aus und rannte dorthin, wo Anschar losgelaufen war. Schnell hatte er seinen Speer wieder an sich genommen, und sie fuhren fort, sich anzustarren.
    Diesmal war es Anschar, der seinen Speer warf, mit demselben Ergebnis, doch er hastete hinterher, ohne seinem Gegner die Gelegenheit zu geben, den eigenen Speer in Position zu bringen. Im Laufen riss er das Schwert aus der Scheide und zielte auf Darurs Oberschenkel. Grazia glaubte nicht, dass irgendein Mensch diesem raschen Angriff ausweichen konnte, doch Darur tat es scheinbar mühelos. Er war plötzlich an Anschars Seite und fing den Hieb mit dem Speerschaft auf. Es ergab ein knallendes Geräusch, das von den Arenawänden widerhallte. Grazia kniff die Augen zusammen, und als sie wieder hinsah, hatte Anschar seinen Speer aufgehoben. Die
Schäfte knallten mehrfach gegeneinander. Die Männer stießen Laute aus, die wütend klangen. Dann sprang Anschar zurück auf die andere Seite des Kraters, wirbelte herum und schleuderte erneut den Speer. Grazia hatte keine Ahnung, warum er das getan hatte. Sie verstand sehr wenig von dem, was da vor sich ging – es war so schnell, so verwirrend. Was Anschar und Darur taten, wirkte sehr urtümlich. Grazia musste sich eingestehen, dass ihr, trotz aller Angst, das Muskelspiel der nackten, schweißglänzenden Körper gefiel. Wie viele preußische Frauen sah auch sie gerne hin, wenn Offiziere mit glänzendem Putz an den schmucken Ausgehuniformen vorübergingen. Das hier jedoch regte ihre Sinne auf eine Art an, die beschämend war.
    Wieder wich der große grauhaarige Krieger dem Geschoss aus, doch diesmal stieß er einen gepressten Schrei aus. Er war auf eine der Gesteinskanten getreten. Sie waren tatsächlich messerscharf, denn er hinterließ rote Sohlenabdrücke. Anschar war sofort bei ihm, um seinen Vorteil zu nutzen; er holte mit seinem Schwert aus. Geduckt erwiderte Darur den Angriff. Die Klingen klirrten gegeneinander. Was Grazia dann zu sehen bekam, war eine Abfolge von Hieben und ausweichenden Bewegungen, die so schnell waren, dass sie kaum begriff, was da geschah. Die Männer duckten sich unter den Klingen hinweg, sprangen seitwärts, rissen gleichzeitig die eigenen Waffen zum Angriff hoch, ohne dem anderen eine Wunde zufügen zu können. Auch Anschars Füße bluteten. Beide Männer schienen nicht weiter darauf zu achten, aber es war ihnen anzusehen, dass sie mit den Schmerzen kämpften. Schweiß rann ihnen von den Schläfen; sie hatten die Zähne zusammengebissen und fauchten und zischten sich an, während sie miteinander tanzten. Aus den Augen loderte die nackte Angriffslust. Es sah tatsächlich so aus, als hätten sie vergessen, dass sie einander kannten.

    Die Speere waren mittlerweile aus dem Rennen. Einer steckte unerreichbar hoch in der Wand, der andere lag zerbrochen am Grund des Kraters. Die Klingen zischten durch die Luft, abwechselnd auch die Fäuste und Ellbogen, während sich Anschar und Darur beharkten. Allmählich zeichnete sich Anschars

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