Das gläserne Tor
widerlich, weißt du das?«
Er winkte die Frau heran. Sogleich brachte sie den Eimer.
Er trank, drückte ihn Anschar in die Hand und legte den Arm um ihre Schultern. Dann machte er Anstalten, sie in die Salzhütte zu ziehen. »Nimm dir auch eine«, sagte er zu Anschar, der rasch getrunken und den Eimer fallen gelassen hatte. Seine Stimme war plötzlich zittrig. »Oder willst du mir zusehen?«
Anschar war von diesem Ansinnen überrumpelt. Ehe er es sich versah, stand er in der Hütte. Da waren eine Bank und an den Wänden offene Säcke, die nach Salz rochen. Parrad drückte die Frau auf die Bank, zerrte ihren Kittel hoch und nestelte an seinem Hüfttuch. Ihr Gesicht war ein dunkles Oval, das nur aus Augen zu bestehen schien. Schweiß perlte auf ihrer Oberlippe. Sie wirkte eher verdutzt als willig. Als Parrad sich über sie beugte, riss Anschar an der Leine, sodass er von der Frau herunterrutschte und auf den Hintern fiel.
»Was soll das denn? Verdammt!« Der Wüstenmann sprang auf die Füße und packte die Leine. »Kannst du nicht stehen bleiben und warten?«
»Du meinst, ich sehe zu, wie du es mit ihr treibst?«
»Beim Herrn des Windes! Nimm sie halt zuerst.«
Anschar zerrte an der verhassten Leine. Sie machte ihn schier verrückt, dabei trug er sie erst einen Tag. Er versuchte sich zu beruhigen. »Ich will das Weib nicht. Und ich will dir auch nicht zusehen müssen. Gibt es hier nichts, womit sich diese Leine durchschneiden lässt?«
»Selbst wenn, was bringt das? Wenn du mit loser Leine hier herausgehst, werfen sich die Wachen auf dich.« Parrad raufte sich den Bart. Dann schickte er die Frau mit einem Nicken hinaus und hockte sich auf die Bank. »Setz dich, Freund. Wenn dir lieber nach Reden ist, dann tun wir das.«
»Du bist nicht mein Freund.« Dennoch ließ Anschar sich neben ihm nieder. Er ließ es sogar geschehen, dass Parrad ihm auf den Schenkel klopfte.
»Der, mit dem man verbunden ist, sollte aber einer sein, denn sonst ist es unerträglich.«
»Das ist es so oder so!«
»Hör zu, ich werde deinetwegen nicht auf das einzige Vergnügen verzichten, das man hier haben kann. Du wirst Augen und Ohren verschließen müssen, wenn es dich stört. Es gibt Sklavenpaare, die sind schon seit Jahren verbunden und haben irgendwann angefangen, sich miteinander zu beschäftigen. Wäre dir das etwa lieber?«
»Oh, Inar!« Tatsächlich war Anschar danach, sich die Ohren zuzuhalten. Oder Parrad mit der Faust zum Verstummen zu bringen. Er hatte einiges über die Papierwerkstätten gehört, aber so etwas nicht. Ihn schauderte, wenn er daran dachte, dass Henon es ein halbes Jahr hier ausgehalten hatte. Er grub die Finger in die Haare und atmete tief durch. »Das ist kein Leben. Wie soll ich es nur ertragen?«
»Wenn man Hoffnung hat, ist es eins.«
»Hoffnung? Worauf?«
»Auf ein Leben danach.«
Anschar sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Dachte er etwa an Flucht? Wohl kaum, er hatte ja hinreichend erklärt, dass er es nicht tat und warum es unmöglich war. Aber das besagte nichts, schließlich kannte er diesen Mann nicht. Wer mochte wissen, was hinter dieser Stirn vorging? Parrad winkte die Frau wieder herein. Anschar schob sich ans Ende der Bank und kehrte dem nun folgenden Schauspiel den Rücken zu. Sich selbst würde er nicht auf diese Weise erniedrigen, da war er sich sicher. Eine Wüstenfrau konnte seiner Not ohnehin nicht abhelfen. Wenigstens tat ihm Parrad den Gefallen und machte es kurz.
Anschar fragte sich, was in die Wannen gegossen wurde. Wasser und Urin, ja, aber das war nicht alles. Weißes Pulver
kam dazu, dann noch eine übel riechende Flüssigkeit. Die Mischung brannte in den kaum verheilten Schnitten seiner Fußsohlen.
»Du bist ein Schwachkopf!«, schimpfte Parrad, der ihm gegenüberstand und mit grimmiger Miene der verhassten Arbeit nachging. »Ich war seit drei Monaten nicht mehr in den Becken. Wir haben uns beim Schöpfen so gut angestellt, wir hätten dort ewig bleiben können! Aber du musstest das ja zunichte machen, nur weil es dir gleich an deinem ersten Tag in den Sinn kam, dich zu prügeln.«
»Hör auf, mir in den Ohren zu liegen. Wie lange müssen wir treten?«
»Frag nicht jetzt schon. In ein paar Stunden dürfen wir uns kurz ausruhen.«
Anschar war sicher, dass von seinen Beinen in ein paar Stunden nur noch Knochen übrig waren. Die Gleichmäßigkeit des Tretens brachte ihn dazu, die Gedanken schweifen zu lassen. Und sie kamen an, irgendwo bei der Erkenntnis, diesen
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