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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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zum Rand gefüllte Schale, dann wieder nur einmal oder gar nicht, je nachdem, ob sich jemand seiner erinnerte.
    Die tönerne Schale kratzte über den Stein. »Der Herr des Windes möge dich daran ersticken lassen«, brummte die Frau.
    »Und dich schrundige Alte schicke dein Wüstengott recht bald in die Unterwelt«, gab Anschar zurück.
    »Das tut er«, kicherte sie. »Aber bestimmt erst nach dir.«
    Der Sand unter ihren bloßen Füßen knirschte, als sie sich entfernte. Anschar nahm die Schale und klemmte sie zwischen die Knie. Wie erwartet, war es der übliche Brei, den die Wüstenmenschen aus den Wurzeln des Felsengrases kochten. Das Gras wuchs auch in der Hochebene reichlich, und es war vielfältig zu verwenden. Dort jedoch verfütterte man die Wurzeln an Nutztiere, und nur, wer sich kein anständiges Essen leisten konnte, ernährte sich selbst davon.

    Der Brei war ungewürzt und schmeckte bitter. Anschar riss ein Stück von dem Brotfladen ab und formte ihn zu einem Löffel. Als er ihn eintauchte, hörte er die Frauen aufschreien.
    Rasch stellte er die Schale in den Sand und kniete sich vor den Stein, um durch die Spalte zu schauen. Die Frauen waren aufgesprungen, einige hatten achtlos ihre Arbeiten fallen lassen. Alle blickten sie mit aufgerissenen Augen in eine Richtung. Was immer sie derart in Aufregung versetzte, verbarg sich außerhalb seines Blickfelds. Eine Gefahr? Die Decken vor den Eingängen der Zelte wurden zurückgeworfen, Männer traten heraus, in den Händen einfache Wurfspieße.
    Anschar hoffte auf einen Angriff – von wem auch immer. Doch es war nur ein einzelner Mann, der auf den Dorfplatz lief, hinter sich ein Schweif von aufgeregt plappernden Menschen. Er trug eine Frau auf den Armen. Deutlich war eine schlanke Hand zu erkennen, die leblos herabbaumelte; lange, rötlich schimmernde Haare, ein helles Gesicht. Der Rest ihres Körpers war in ein weißes Gewand gehüllt. Kinder sprangen neben ihr her, versuchten nach ihren Haaren zu haschen und wurden von ängstlich kreischenden Frauen fortgejagt. Dann verschwand der Mann mit ihr irgendwo zwischen den Zelten, gefolgt von einigen der Frauen.
    Anschar ließ sich wieder in den Sand sinken und hob die Schale auf die Knie. Das war keine Wüstenfrau gewesen. Dazu war ihre Haut viel zu hell, ganz zu schweigen von der Haarfarbe, die es, soviel er wusste, weder in der Wüste noch in der Hochebene gab. Wie Feuer. Höchst eigenartig. Er aß langsam und fragte sich dabei, wer sie wohl war und woher sie kam. Und warum sie hier war. Eigentlich kümmerte es ihn nicht, aber er war für alles, was seine Gedanken ablenkte, dankbar.
    Der Tumult verebbte, die Frauen versammelten sich wieder
um den Kessel und nahmen ihre Flechtarbeiten auf. Das Gespräch drehte sich um die Frau. Der Wüstenmann hatte sie offenbar irgendwo dort draußen in der Wildnis gefunden.
    Plötzlich wurde ein Lederbalg durch die schmale Öffnung geworfen. »Das wurde auch Zeit«, rief Anschar. »Oder wollt ihr, dass ich hier verdurste, ihr Hunde?« Er wickelte die Schnur ab und hob die Öffnung an die Lippen. Das Wasser schmeckte abgestanden und war zu warm für den Geschmack eines Argaden, aber anderes gab es hier nicht. Viel zu schnell ging das Wasser zur Neige, sein Durst war noch lange nicht gelöscht. Wollten sie ihn quälen? Oder war das nur Nachlässigkeit? Er kniete vor der Öffnung, um mehr zu verlangen, als er die Dorfherrin in Begleitung einiger Männer näher kommen sah. Abwartend hockte er sich neben den Stein. Die Höhle verdunkelte sich.
    »Anschar von Argad? Ich will etwas von dir.«
    Ihre Stimme war rau und schroff. In den ersten beiden Tagen seiner Gefangenschaft war sie oft hergekommen, um ihn zu fragen, wer er sei. Er hatte geduldig geantwortet – zumindest fand er, dass er geduldig gewesen war.
    »Was immer das ist, warum sollte ich es dir geben, wenn ich nicht einmal ausreichend Wasser bekomme?«, erwiderte er, ohne sich zu der Öffnung umzudrehen.
    »Das bekommst du. Ich lasse dich jetzt herausholen und ermahne dich, keinen Widerstand zu leisten. Hast du das begriffen?«
    Ihr herablassender Ton ärgerte ihn. Aber er war bereit, ihn hinzunehmen, wenn er nur für ein paar Augenblicke aus diesem Loch herauskam.
    »Ja.«
    »Stell dich hinten zur Wand und lege die Hände auf den Rücken.«
    Sie misstraute ihm. Nun, das war verständlich, also gehorchte
er, so sehr es ihm missfiel. In seinem Rücken knirschte der Sand und ächzten die Männer, als sie den Felsen

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