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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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beiseiterollten. Er hörte, wie der Schaft eines Spießes gegen die Felswand klapperte. Sie hatten Grund, sich ihm vorsichtig zu nähern, und das erfüllte ihn mit Stolz, auch wenn dies angesichts seiner Lage lächerlich war. Eilig schlangen sie ein Grasseil um seine Handgelenke, dann drehten sie ihn um und bedeuteten ihm, hinauszutreten. Er musste sich tief bücken, um durch die niedrige Öffnung zu gelangen. Das ungewohnte Licht stach in seine Augen. Er blinzelte, straffte den Körper und blickte nicht weniger hochmütig auf die Frau herab, wie sie es tat.
    Ihr Name war Tuhrod, und für eine Wüstenfrau an der Schwelle des Alters war sie nicht gänzlich unansehnlich. »Folge mir«, befahl sie und schritt über den Dorfplatz. Die Frauen unterbrachen ihre Unterhaltung und glotzten. Mit hoch erhobenem Kopf und kleinen Schritten ging Anschar zu Tuhrods Zelt. Es war das größte Rundzelt, mit verblassten Stoffbahnen und quastenbesetzten Säumen geschmückt. Tuhrod hob die Decke an, die den Eingang verhängte, und schickte seine Begleiter mit einer Handbewegung fort.
    »Geh hinein. Es droht dir keine Gefahr.«
    Finster sah er sie an. Glaubte sie gar, er fürchte sich? Er duckte sich und trat in das Zelt, in dem es um einiges kühler als in seiner Höhle war. Normalerweise hätte er es erbärmlich gefunden, jetzt schien es ihm ein angenehmer Aufenthaltsort zu sein.
    »Warum hast du mich herausgeholt? Wegen dieser Frau? Oder willst du mir endlich sagen, was aus mir werden soll?«
    Tuhrod verhängte den Eingang, trat zu ihm und legte nachdenklich einen Finger auf die Wange. »Wegen der Frau. Was dich betrifft, weiß ich noch nicht, was ich mit dir tun soll. Ich halte dich nach wie vor für einen Sklavenhändler.
Deinen Behauptungen, es sei nicht so, habe ich bisher keinen Glauben geschenkt, aber das muss ja nicht heißen, dass sie gelogen sind. Ich bin noch unschlüssig.«
    Sie trat an die Zeltwand und nickte ihm zu. Dort lag die Frau, im Durcheinander bunter Stoffe, Kissen und Felle kaum auszumachen. Über ihren Körper war eine Decke gebreitet, die Tuhrod gerade so weit zurückschob, dass er die Schultern sehen konnte.
    »Hast du so etwas schon einmal gesehen?«
    Er trat näher. Das weiße Gewand, das den Körper der Rothaarigen vollständig bedeckt hatte, war verschwunden, stattdessen trug sie ein anderes, ebenso weiß, aber ärmellos. Ihre Haut war ungewöhnlich hell, was sie nicht gerade anziehend wirken ließ, zumal Gesicht und Arme, soweit er erkennen konnte, mit kleinen Flecken übersät waren. Unwillkürlich zuckte er zurück.
    »Ist sie krank?«
    »Ich weiß es nicht. Schorfig sind diese Flecken nicht. Sie sind eher wie Muttermale, nur viel kleiner. Aber hast du je so helle Haut gesehen?«
    »Nein.«
    »Und solche Haare?«
    »Die erst recht nicht.«
    »Das habe ich befürchtet.«
    Neugierig geworden, kniete er neben der Frau und beugte sich über sie. Auch die Brauen waren hellrot. Sogar die Wimpern. Sie zitterten leicht. Ihr Mund war einen Spalt weit geöffnet, sie atmete entspannt.
    »Sie hat im Schlaf gesprochen«, sagte Tuhrod. »Nur kurz, aber das war schon seltsam genug, denn es war völlig unverständlich. Meines Wissens spricht dein Volk nicht anders als wir. Ist das so?«
    »Ja. Wahrscheinlich hatte sie Albträume, was nicht verwunderlich
wäre. Kann man in dieser Gegend von angenehmeren Dingen träumen als Sand im Mund und Wurzelbrei in den Ohren?«
    Mit einem ärgerlichen Schnauben bedeckte Tuhrod den Arm der Frau und richtete sich auf. »Spar dir deine Beleidigungen. Sie verbessern deine Lage nicht.«
    »Ist das eine Drohung, Weib?« Er warf den Kopf zurück. »Aber womit drohst du denn? Dass ich in der Höhle gesotten werde? Das werde ich schon seit zehn Tagen. Dass ich sterben muss? Bei der heiligen Dreiheit, ja, allmählich fange ich an, mich danach zu sehnen! Allein der Gedanke, unter euch dreckigen Wüstenhunden zu sterben, hält mich davon ab, mit dem Kopf gegen die Felswand zu rennen.«
    »Ich sollte dir auf der Stelle den Schädel einschlagen lassen«, erwiderte sie mit vor Empörung bebender Stimme. »Nur damit du den Mund hältst, du argadischer Grobschlächter!«
    »Du stinkende Wüstenhure, versuch es!«
    »Die Sandgeister mögen dich ersticken, du …«
    Ein schriller Schrei ließ sie verstummen. Die Rothaarige hatte die Augen aufgerissen und den Kopf gehoben.
    » Achduheiljabimbam! «, stieß sie hervor.
    »Das meinte ich«, sagte Tuhrod, die einen Satz rückwärts gemacht hatte und

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