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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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eine Hand auf den Bauch.

    »Ist dir nicht gut?«, fragte Henon besorgt.
    »Nach drei Monaten mit den ewig gleichen Eintöpfen bin ich solches Essen nicht mehr gewohnt. Wie hast du es damals nur ausgehalten?«
    Henon zuckte mit den Achseln. »Ich brauche nicht viel, das weißt du doch. Willst du dich nicht lieber hinlegen?«
    Über den Tisch langte Anschar nach seiner Hand. »Nun übertreibe es nicht. Immerhin teile ich jetzt deine Erfahrung; ich glaube, das ist das einzig Gute daran.«
    Der alte Sklave nickte gerührt, ihm kamen schon wieder die Tränen. »Das hätte nicht sein müssen. Nicht meinetwegen.«
    »Du wirst wohl nie aufhören, dich klein zu machen.« Anschar rutschte von seinem Stuhl, ging neben Henon in die Hocke und umfasste seine Mitte. Dann küsste er gar seinen Bauch, während Henon ihm über den Hinterkopf strich. Solches Verhalten würde Grazia wohl nie richtig verstehen, und doch rührte es sie an, wie dieser groß gewachsene Krieger sich wie ein Kind kosen ließ. Manchmal kamen ihr alle Argaden wie Kinder vor. Warum sollte er eine Ausnahme sein?
    »Wie kommt es, dass es bei dir nur drei Monate waren?«, fragte Henon. Augenblicklich verdüsterte sich Anschars Miene. Er stemmte sich hoch.
    »Mallayur wollte, dass ich mich als gefügig erweise. Das habe ich getan. Ich habe die Flucht eines Sklaven verhindert.«
    »Du hast jemanden verraten?«, entfuhr es Grazia.
    »Es war nur ein Wüstenhund.«
    »Aber er war in derselben Lage wie du.«
    »Wohl kaum.« Er beugte sich über den Tisch und schrie sie an. »Ich wäre nicht geflohen! Denn ich wollte zurück. Zurück! Dafür hätte ich alles mit mir machen lassen. Dafür habe ich alles ertragen. Nur dafür!«

    Wofür?, fragte sie sich. Für diesen einen Tag hier? Für eine einzige Nacht? Mit mir?
    Sie saß geduckt da, wusste nicht, was sie sagen sollte. Er entledigte sie dieses Problems, indem er auf die Terrasse stapfte. Konnte sie sich ihm nach dieser Enthüllung noch verweigern? Nicht, dass sie das vorgehabt hatte, doch ihre Furcht vor der Nacht wuchs.

    Zu dritt saßen sie auf der Terrasse, tranken Wein und sahen der Sonne beim Sinken zu. Die Papierwerkstätten kamen nicht mehr zur Sprache. Anschar und Henon erzählten Begebenheiten der letzten Jahre, wobei sich Anschar heiter gab, während Henon zu seinen üblichen Gefühlsausbrüchen neigte. Je mehr der Abend zur Neige ging, desto beklommener fühlte sich Grazia.
    Als Anschar sich erhob und im Bad verschwand, ahnte sie, dass die Zeit gekommen war. Henon schien nichts zu bemerken, er saß nur da und hielt sichtlich zufrieden das Gesicht in die abendliche Brise.
    Sie beschloss, Anschar zu folgen. Wenn sie mit ihm das Bett teilte, sollte es nichts ausmachen, ihn nackt zu sehen. Er stand im Becken und rieb sich mit Seifenkraut ein. Das nasse Haar hing ihm weit auf den Rücken. Für einen Moment genoss sie das Muskelspiel seiner Glieder und der prallen Hinterbacken, dann räusperte sie sich.
    »Ich habe dich bemerkt«, sagte er, ohne sich umzudrehen. »Willst du mir helfen?«
    »O, das … das schaffst du sicher allein.«
    Er kniete sich ins Wasser, wusch die Seife herunter und stand wieder auf. Hastig blickte sie zur Seite, als er sich umdrehte, um nach seinem Wickelrock zu greifen. Dieser Mann war so viel wirklicher als jener auf dem Steg. Ihr schlug das Herz so fest gegen die Kehle, dass sie nur mit Mühe atmen
konnte. Schließlich stand er vor ihr, wrang sich das Wasser aus den Haaren und sah sie begierig an.
    »Ich wollte dich fragen, was mit Henon ist«, sagte sie leise.
    »Was soll mit ihm sein?«
    Grazia neigte sich vor, um es ihm zuzuflüstern. »Er kann heute nicht hierbleiben. Ich meine, das Schlafzimmer hat keine Tür. Er würde doch alles hören.«
    Er neigte den Kopf; seine Stirn war gefurcht, als versuche er angestrengt, es zu begreifen. »Was ist daran schlimm?«
    »O Anschar«, murmelte sie. »Was soll das nur mit uns werden? Ich halte es für unmöglich, dass du dich von einem alten Mann bedienen lässt, und du hältst es für unmöglich, dass es stören könnte, wenn jemand uns bei … im Bett bemerkt. Werden wir uns jemals richtig verstehen?«
    Langsam strich er sich die Haare zurück. »Ich will dich ja verstehen. Es ist nur … nun ja, nicht leicht. Es ist wie mit den Türen. Du magst sie geschlossen, ich finde das ungewohnt. Aber du und ich, wir sind jetzt zusammen. Alles andere sind nur Kleinigkeiten, darüber müssen wir doch gar nicht reden. Ich sage Henon, dass er die Nacht

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