Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
Vom Netzwerk:
legen, aber dazu bin ich zu müde. Schlaf weiter. Morgen früh kommt Friedrich wieder. Mach mit ihm eine Spazierfahrt in den Grunewald. Oder schaut euch im Viktoriapark den Wasserfall an.«
    »Och, den nun gerade nicht. Ich hab von Wasser die Neese voll.«

    »Er gibt sich Mühe, die Sache irgendwie wieder einzurenken. Tu du das auch.«
    Ihr grauste davor, obwohl sie nicht wusste, weshalb. Die Fahrt in der Droschke war schon schlimm gewesen. Aber sie würde sich Mühe geben. Bestimmt. »Danke, Papa.« Sie küsste ihn auf die Wange. Nun sah alles etwas weniger trostlos aus.

2

    Im Gehen ergriff Friedrich ihre Hand. Sie ließ es geschehen. Warum auch nicht? Er war ihr Verlobter. Ihrem Gefühl nach war es dennoch falsch, als betrüge sie damit Anschar. Sie stellte sich vor, wie er dies sähe, und spürte den Impuls, die Hand fortzuziehen. Entschlossen drückte sie zu. Friedrich schenkte ihr ein steifes Lächeln, und sie erwiderte es nicht weniger steif. Wie wäre es, diesen Mann zu küssen? Ähnlich wild und aufregend wie bei ihm ? Eigentlich sollte sie das noch wissen, schließlich hatte sie Friedrich irgendwann einmal geküsst. Nur wann, wo und wie, das wusste sie nicht mehr.
    Er räusperte sich. Bitte frage nicht, was mir jetzt im Kopf herumgeht, bat sie ihn innerlich. Verzweifelt versuchte sie die Gedanken zu zerstreuen, aber sie blieben dort, wo sie nicht hingehörten. Grazia sah schlanke Körper in durchscheinenden Gewändern, geschminkte Brustspitzen; Hände, die um Taillen lagen; Hüften, die sich verräterisch bewegten. Der Meya und Fidya eng umschlungen. Ein Leibwächter, der dem Treiben teilnahmslos beiwohnte, während er an der Tür aufgepflanzt dastand. Ich liebe einen Mann, der anderen …
dabei zugesehen hat, dachte sie und wusste nicht, ob sie das entsetzlich oder aufregend finden sollte. Ihre Hand wurde heiß und feucht.
    »Was ist?«, fragte Friedrich.
    Sie hatte ihm die Hand entrissen und war stehen geblieben. Vor ihr ragte das Zauntor von Onkel Toms Hütte auf. »Nichts, nur … wir sind da.«
    »Das sehe ich.« Er bot ihr den Arm. Sie hakte sich unter, und sie betraten das Ausflugslokal. Es war ein sonniger Tag, und so tummelten sich viele Gäste an den Tischen. Auf der Terrasse, wo feine Damen saßen und beim Ansetzen der Mokkatässchen die kleinen Finger abspreizten, glänzte das Tafelsilber und blitzte das Porzellan. Dort zog es Grazia nicht hin; so fein war sie nicht, auch wenn sie schon mit einem Großkönig gespeist hatte. Sie schlenderte in den Schatten der strohgedeckten Halle, der das Lokal seinen Namen verdankte, und ließ sich von Friedrich an einen freien Tisch führen. Er faltete ihren Sonnenschirm zusammen, lehnte ihn an den Tisch und schob ihr den Stuhl zurecht. Artig bedankte sie sich. Plötzlich kam ihr alles wieder normal und richtig vor. Als er ihr gegenübersaß, legte sie kurz die Hand auf seine und lächelte wieder.
    »Friedrich, ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt.«
    »Wofür?«
    »Dass du mir ins Wasser nachgesprungen warst, um mir zu helfen.«
    »Ach.« Er strich sich den Bart glatt. »Das war doch selbstverständlich.«
    »Findest du? Nein, ganz und gar nicht! Das war sehr mutig.«
    Das war es zwar nicht, schließlich hatte er von dem Licht nichts gesehen, aber er freute sich, und darauf kam es ihr an. An ihr sollte die Sache nicht scheitern.

    »Was möchtest du?«, fragte Friedrich, als der Ober an ihrem Tisch stand.
    »Eine Fassbrause. Ha’ ick een Dohscht!« Sie strahlte ihn an.
    »Für die Dame eine Fassbrause. Für mich ein Schultheiss.«
    »Und für mich einen Pfannkuchen! Ich könnte dafür jetzt sterben.«
    »Einen Pfannkuchen für die Dame.«
    »Sehr wohl, der Herr.« Der Ober schlug die Hacken zusammen und entfernte sich.
    »Was hast du denn da?«, fragte Friedrich. Sie hatte ihr Jäckchen aufgeknöpft, und nun war die silberne Heria auf ihrem Busen nicht zu übersehen.
    »Ein Mitbringsel aus der anderen Welt.« Sie zog die Kette über ihren Kopf und reichte sie ihm. Er rieb das Schmuckstück zwischen den Fingern. Da er nichts sagte, fügte sie hinzu: »Es ist herschedisch, nicht argadisch.«
    »Hm? Oh.«
    »Die Blume ist so eine Art Wappensymbol. Und die Stadt, wo sie herkommt, heißt genauso. Du liebe Zeit, habe ich lange dafür gebraucht, das zu begreifen, obwohl mir das mit der Sprache ja recht leicht gefallen ist. Nur die Schrift habe ich nicht gelernt, die ist wirklich schwierig. Man kennt dort unendlich viele Symbole. Es gibt eine Symbolschrift

Weitere Kostenlose Bücher