Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
Vom Netzwerk:
gefällt!«
    Abrupt wich die Mutter zurück, als hätte sie sich verbrannt. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glauben, das kann nicht unsere Tochter sein.«
    »Luise«, sagte der Vater von der Küchentür her.
    »Versuch du dein Glück«, murmelte sie. Grazia rannte an ihm vorbei in ihr Zimmer und wollte sich in ihr Bett verkriechen, aber da war er schon hinter ihr und schloss die Tür. Sie wirbelte herum, warf sich an seine Brust und krallte sich in seine Weste.
    »Es stimmt! Papa! Ich liebe ihn. Ich …«, die folgenden Worte gingen in Schluchzen über. Erleichtert spürte sie die Hand ihres Vaters auf dem Rücken. Er würde ihr nicht helfen können, aber er würde ihr verzeihen. »Ich liebe ihn. Er wollte mitkommen, aber ich hab’s ihm ausgeredet. Ach, vielleicht hätte ich es zulassen sollen.«
    »Ganz ruhig, Töchterlein.« Er tätschelte ihren Rücken. »Komm, zeig ihn mir. Welcher auf deinen Zeichnungen ist es?«
    »Hier!« Sie stellte die Kerze auf den Schreibtisch und sammelte die Blätter ein. Männerkörper konnte sie nicht zeichnen, dementsprechend sah Anschar auch nicht aus, wie sie ihn in Erinnerung hatte. Und doch durchdrang sie der Stolz auf ihn. Ihr Vater nahm den Papierstoß entgegen und setzte sich an den Tisch.
    »Ein antiker Krieger. Nicht gerade das, was man sich unter einem geeigneten Schwiegersohn vorstellt«, sagte er und blickte sie über den Rand der Brille hinweg an. »Wie hieß er noch gleich?«
    »Anschar«, hauchte sie.

    »So hast du Friedrichs Namen nie ausgesprochen«, bemerkte er und deutete auf die Zeichnung. »Und du bist sicher, dass du diesen Zweikampf nicht in einem Zirkus gesehen hast? Hm?«
    »Ja.« Sie hockte sich auf seinen Oberschenkel und legte den Arm um seine Schulter.
    »Und hier kämpft er gegen eine Chimäre?« Er hob eine andere Zeichnung hoch.
    »Nein, das ist nicht Anschar. Das ist Meya, ein alter mythischer Held der Argaden. Er war zu seiner Zeit, was etwa achthundert Jahre zurückliegt, der König und der größte Krieger. Er bestritt an der Küste von Temenon viele Zweikämpfe und war immer siegreich. Als er dem besten Krieger von Temenon gegenübertrat, sagte er, er wolle das Leben seines Sohnes geben, wenn er nur diesen Kampf noch gewänne. Das schaffte er, und die Götter schickten die Große Bestie.« Sie deutete auf den Schamindar. »Sie forderten das Versprechen ein, aber er bereute es so sehr, dass er sich selbst dem Schamindar als Opfer hingab.«
    Er blätterte weiter. »Was ist das? Sieht ein bisschen aus wie Böcklins Toteninsel.«
    »An die hatte ich auch gedacht, und es ist tatsächlich eine Toteninsel. Das argadische Elysium. Auf dem Hochland gibt es einen großen See, in den münden die wenigen Flüsse, die noch nicht versandet sind. Darum herum ist Ackerland, und in der Mitte liegen mehrere Inseln. Die Argaden befahren den See nicht, daher wissen sie nicht genau, wie es auf den Inseln aussieht.«
    »Und wer ist das? Der hat ja eine ziemliche Wampe.«
    »Ach, der.« Sie kicherte. »Das ist ein herschedischer Weinhändler.«
    Er legte die Blätter zurück und umfasste ihre Taille. »Kind, ob deine Geschichte nun stimmt oder nicht, ändert nichts
an deinem eigentlichen Problem. Es haben sich schon oft Frauen in die falschen Männer verliebt. Trotzdem sind sie damit klargekommen. Und Friedrich hat eine Menge Geduld mit dir. Reize sie nicht vollends aus. Du willst doch, dass alles wieder so wie früher wird?«
    »Ja!«
    »Dann entscheide dich dafür.«
    »Aber kann ich vergessen, wo ich gewesen bin?«
    »Das sollst du ja gar nicht. Aber du kannst nicht an jener Welt hängen, nur weil sie anders und auf fantastische Weise zu erreichen ist. Stell dir vor, du hättest Tante Charlotte in Deutsch-Ostafrika besucht, hättest all das dort erlebt und wärst nun wieder zurück. Dann würdest du dich doch auch in dein alltägliches Leben schicken, gleichgültig, wie aufregend die Reise war. Oder nicht?«
    Wieder nickte sie. Es klang alles so vernünftig.
    »Schreib es auf«, schlug er vor. »Mach eine Reiseerzählung daraus.«
    »So wie die Wanderungen durch die Mark Brandenburg?« Jetzt musste sie lachen.
    »Wohl eher so wie Jules Vernes Reise zum Mittelpunkt der Erde.«
    »So etwas kann ich doch gar nicht.«
    »Das ist nicht wichtig.« Er schob sie von seinem Bein und stand auf. »Pack deine Bilder gut weg, nicht dass deine Mutter sie in den Ofen steckt. Und sei gefälligst freundlich zu ihr! Eigentlich sollte ich dich noch schnell übers Knie

Weitere Kostenlose Bücher