Das gläserne Tor
und eine Art Keilschrift, und die ist auch nicht einfacher. Du kennst doch diese mesopotamischen Tonkissen, wo man denkt, wie kann ein Mensch sich je durch dieses Gewühl hindurchfinden?«
»Natürlich kenne ich die.«
»Ja, so verwirrend ist es dort auch.«
Der Ober kehrte zurück. Friedrich legte den Anhänger beiseite, um sich seinem Bier zu widmen. Grazia trank die
Hälfte ihrer Limonade auf der Stelle leer und biss herzhaft in ihren Pfannkuchen. Wohlig seufzte sie auf, während sie den Puderzucker aus den Mundwinkeln leckte. »Schön hier, nicht?«
»Ja, sehr.«
Er schien das Schmuckstück vergessen zu haben. Auch als sie es sich wieder umhängte, achtete er nicht mehr darauf. Er wirkte verdrossen. Hatte sie irgendetwas falsch gemacht? Sie gab sich heiter und bemühte sich, ganz wie ihr Vater es verlangt hatte. Störte ihn etwa der Anhänger?
»Friedrich?«
Er hob das Glas an die Lippen, trank und wischte sich mit dem Mundrücken den Schaum aus dem Bart. »Was ist?«
»Du warst so begeistert von dem Grabfund. Alte Kulturen haben dich immer so fasziniert. Das hat mich wiederum an dir fasziniert.«
»Ja. Und?«
Grazia befingerte ihr Glas. Seine Einsilbigkeit verunsicherte sie. »Na ja, also, ich dachte … du und ich, das ist wie Heinrich, äh, Schliemann und Sophia.« Du meine Güte, dachte sie, ich rede mich um Kopf und Kragen. »Verstehst du?«
»Noch nicht.«
»Es wundert mich, dass du so wenig Interesse an der argadischen Welt zeigst, obwohl du sie gesehen hast. Ich meine, du als Archäologe …«
»Was habe ich denn gesehen?«, unterbrach er sie. »Eine Hütte. Einen Mann. Und der war ein Dominikaner.«
»Und Anschar?«
Prompt sträubte er sein Gefieder. Sein giftiger Blick flog ihr so heftig entgegen, dass es sie fast zurückwarf. »Ich bat dich, ihn nicht wieder zu erwähnen!«
Wollte er Anschars Existenz leugnen? Grazia begriff, dass die Sache anders hätte ausgehen können, wäre Anschar nicht
gewesen. Vielleicht hätte Friedrich sich als der neugierige Forscher entpuppt, der er doch war. »Friedrich! So schlimm war eure Begegnung nun auch wieder nicht. Man könnte ja meinen, er hat dir …« Sie schlug sich auf den Mund. Anschar hatte ihm den Schneid abgekauft. Aber das durfte sie nicht sagen.
»Er hat was?«, fragte er lauernd.
»Dich … dich beeindruckt, wollte ich sagen«, stotterte sie.
Ärgerlich winkte er ab. »Beeindruckt? Ein langhaariger Wilder mit bemalten Armen und nackten Beinen? Ich bitte dich! Beeindruckt hat mich höchstens sein Schwert, aber das auch nur, weil … nun ja, das hätte ich mir gern näher angesehen. Es war ja im Grunde das einzig vorhandene Relikt dieser sagenhaften Welt.«
»Und meine Sachen? Der Mantel? Die Münzen?«
»Ja, die auch«, räumte er ein. »Aber das alles ist letztlich nichts wert. Ich hatte geglaubt, eine alte Kultur zu entdecken, und was ist davon übrig? Eine Welt, die es eigentlich gar nicht geben dürfte. Ein Grab, jünger als das meines Vaters, der im Siebziger Krieg geblieben ist, Gott hab ihn selig. Der Schmuck!« Er warf die Hände hoch. »Der stammt aus einem Land, das in deiner Fantasiewelt wiederum so etwas wie ein Fantasieland ist. Na, wenn das kein sensationeller Fund ist. Wie hieß es noch?«
»Temenon«, hauchte sie, überfahren von seinem plötzlichen Wortschwall.
»Und dafür hat der Kaiser Gelder locker gemacht? Wie stehe ich denn da, wenn er erfährt, was dabei herausgekommen ist? Herrgott noch mal – ich kann nicht den kleinsten Artikel darüber schreiben, ohne mich lächerlich zu machen! Jetzt ahne ich wenigstens, wie sich Schliemann gefühlt hat, als man ihn wegen seiner Absicht, Troja zu finden, überall ausgelacht
hat.« Fahrig rieb er sich die Stirn. »Ich überlege die ganze Zeit, ob ich mir das mit dieser Lichtsäule nicht eingebildet habe. Und alles andere auch. Es wäre das Beste für sämtliche Beteiligten.«
Grazia starrte auf den Rest ihres Pfannkuchens. Sie war satt. »Was willst du tun?«
Er hob die Schultern. »Ich werde den Schmuck und die Knochen dem archäologischen Reichsinstitut ausliefern und einen abschließenden Bericht schreiben, in dem steht, dass ich nichts damit anzufangen weiß. Wird meine Karriere nicht gerade vorantreiben, aber was bleibt mir übrig?«
»Das kannst du nicht«, platzte sie heraus. »Der Schmuck gehört mir.«
»Dir? Bitte?«
»Anschar hat ihn mir geschenkt. Und ich gebe ihn bestimmt nicht her, damit er in irgendeiner Vitrine herumliegt.« Das waren kühne Worte,
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