Das gläserne Tor
dich, vergib mir.«
Anschar zuckte vor seinen eigenen Worten zurück. Hatte er soeben wahrhaftig einen Wüstenmenschen um Verzeihung gebeten? Er schüttelte den Kopf. Wenn er Glück hatte, wies Parrad seine Bitte ab. Doch der schürzte die Lippen und nickte.
»Wenn ich es recht bedenke, habe ich es nur dir zu verdanken, dass ich jetzt hier bin. Andernfalls wäre ich in dem Becken verreckt. Also gut, Anschar. Aber das Wort Freund verkneife ich mir vorerst.«
»Das ist in meinem Sinne«, brummte Anschar. »Und jetzt hau ab. Ich brauche dringend Schlaf.«
Jemand wollte nach ihm greifen. Er spürte es, obwohl er noch nicht vollends wach war. Er schnellte hoch, packte den Eindringling und warf ihn auf den Rücken. Dann erst sah er, was er gefangen hatte: eine Frau, die ihn verängstigt anstarrte. Eine Wüstenfrau. Er hatte geträumt, zurück in Argadye zu sein, in seinen Gemächern, wo eine hübsche rothaarige Frau auf ihn wartete. Die Wirklichkeit war erbärmlich.
»Was willst du?«, knurrte er sie an. Sie ließ ein Bündel
aus den Armen gleiten. Zwei Decken, ein Messer, ein paar hölzerne Schalen und lederne Beutel. Dazu ein schwarzes Hemd, ein schwarzer Wickelrock und ein Paar Sandalen.
»Tenam hat die Kleider gefunden. Er glaubt, sie gehören dir.«
»Ja, das sind meine.« Er machte sich sofort daran, den Lumpen zu entfernen, den er immer noch trug, und sich anzukleiden. Das vertraute Gefühl auf der Haut besserte seine Laune jedoch nur wenig. Lange konnte er nicht geschlafen haben. Er fühlte sich zerschlagen. Seine Schulter brannte.
»Du bekommst noch mehr Decken, damit du es nachts warm hast.« Sie wagte kaum, ihn anzusehen. »Und ich soll dir sagen, dass das Essen bereitet ist.«
»Ich könnte einen Reisigbesen oder so etwas gebrauchen, um die hundert Spinnen hinauszujagen, die mir den Platz streitig machen.«
»Ich … ich werde die Hütte säubern.« Ihr Blick glitt unsicher über die Bretterwände. »Jernamach sagte, ich solle mich um dich kümmern. Du musst nicht allein sein. Er meinte, du seiest jemand, der eine Frau an der Seite braucht.«
»Ach, meint er das?« Anschar ärgerte sich über seinen verächtlichen Tonfall, aber dieses Ansinnen war ihm zuwider. »Warum?«
»Wenn hier zwei Menschen ohne Gefährten sind, rücken sie notgedrungen zusammen. Ich wohnte hier mit Jebenimech, bevor er starb.«
»So groß ist meine Not nicht, also verschwinde.«
Sie zuckte unter seinem harschen Ton zusammen und kroch eilends aus der Hütte. Mit einem erbosten Knurren ließ er sich auf den Bauch fallen und stopfte eine der Decken unter seinen Kopf. Eine Wüstenfrau! Diesen Fehler hatte er einmal begangen, ein zweites Mal würde er es nicht tun. Es mochte sein, dass er das nicht ewig durchhielt, aber das
Feuerköpfchen war viel zu sehr in seinem Innern verankert, als dass er zu diesem Zeitpunkt an eine andere Frau auch nur denken konnte. Die Decke wurde feucht unter seinen Tränen. Wutentbrannt machte er sich an den Abstieg und stapfte auf die Lichtung. Jernamach saß vor einem Zelt und hatte die Finger in eine Essschale gesteckt. Von der Frau war nichts zu sehen.
»Schick mir nicht noch einmal eine Frau!«, bellte Anschar und hielt ihm den Finger vor die Nase. »So tief bin ich noch nicht gesunken, dass ich eine Wüstenfrau anfasse. Hast du verstanden?«
Jernamach nickte langsam. »Ja, du schreist laut genug. Es ist nicht gut, allein zu sein, das wirst du noch merken.«
»Ich merke es schon die ganze Zeit.« Auf dem Absatz machte Anschar kehrt und stieß fast mit einem Jungen zusammen, der ihm eine Schale hinhielt. Beinahe hätte er sie ihm aus den Händen geschlagen, aber er beherrschte sich und nahm sie entgegen. Dann hockte er sich auf den Baumstamm und schaufelte das Essen mit den Fingern in sich hinein. Es waren zarte Fleischfasern, unter die man süße Beeren und den unvermeidlichen Graswurzelbrei gemischt hatte. Unter den gegebenen Umständen ein Festmahl. Parrad setzte sich an seine Seite und reichte ihm einen grob aus Holz geschnitzten Becher, in dem wieder das vergorene, entfernt an Bier erinnernde Zeug schwappte. Es schmeckte eher wie flüssiges Brot.
»Richtiges Bier kriegen sie hier nicht hin«, erklärte Parrad. »Ich habe mich auch noch nicht daran gewöhnt. Aber dafür gibt es genügend Fleisch. Jagen können die Männer, nur gescheite Waffen haben sie nicht, denn es gibt bloß einen Mann, der sich zum Tauschhandel aus dem Wald wagt. Du verstehst es sicher auch, zu jagen?«
»Zumindest
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