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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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unentdeckt geblieben war. Es waren nur ein paar Zelte, die auf einer Lichtung standen. In der Mitte befand sich eine Kochstelle, ganz ähnlich wie in jener Nomadensiedlung in der Wüste.
    »Warum geht ihr nicht zurück in die Wüste?«, fragte er in die Runde. »Ausgerechnet ihr habt euch die kälteste Gegend
des Hochlandes ausgesucht, wenn man von den Höhen des Hyregor absieht.«
    Niemand antwortete ihm. Sie wirkten nicht glücklich darüber, plötzlich einen Argaden unter sich zu haben. Jernamach klatschte in die Hände, damit sie sich wieder zerstreuten. Die Frauen und Kinder scharten sich um die Kochstelle, die Männer hockten sich vor ihre Zelte. Nur die Frau an seiner Seite blieb. Sie hatte die Wunde gesäubert und öffnete nun einen tönernen Tiegel, in dem sich eine grünliche Paste befand. Großzügig verteilte sie die streng riechende Masse auf den Kratzern. Es brannte so fürchterlich, dass er die Zähne zusammenbeißen musste.
    »Du musst doch die Antwort kennen«, erwiderte Jernamach. »Hier kann man überleben. An den Felswänden der Hochebene nicht. Sämtliche gangbaren Wege hinunter in die Wüste sind bewacht, und unten lauern die Sklavenfänger. Man kommt da nicht durch. Einige haben versucht, den Hyregor zu überwinden. Aber was aus ihnen wurde, weiß niemand. Ich glaube, sie sind tot.«
    »Trotzdem. Ihr habt wenigstens einen Ort, von dem ihr träumen könnt. Ich nicht. Hätte ich ihn aber, würde ich lieber bei dem Versuch sterben, ihn zu erreichen.« Anschar nickte zu den Zelten. »Darin zu hausen, ist doch kein Leben.«
    Jernamach folgte seinem Blick. »Man gewöhnt sich daran, wenngleich jeder hier von der Weite und Schönheit der Wüste träumt. Wenn man dort geboren und aufgewachsen ist, kommt die Schönheit der Wälder nicht dagegen an.« Er winkte Parrad herbei, der sich in der Nähe herumdrückte. »Parrad, zeig ihm seine Hütte. Die von Jebenimech, du weißt schon.«
    »Hütten?«, fragte Anschar.
    Jernamach legte zur Antwort den Kopf in den Nacken. Nun erst sah Anschar die dicken Grasseile an den Baumstämmen,
die in regelmäßigen Abständen Knoten aufwiesen, um das Hinaufklettern zu erleichtern. Hoch oben zwischen den Ästen waren Bretter zu erkennen.
    »Dort schlafen wir. Nicht wegen der Herscheden, bisher hat sich noch niemand hierher verirrt. Aber manchmal streift des Nachts die Große Bestie umher. Glücklicherweise kam es bisher nie zu einem schlimmen Zwischenfall. Tagsüber lässt sie sich nie blicken.«
    Anschar folgte Parrad, der ihn ein Stück von der Lichtung wegführte, zu einer der riesigen Zedern. Auch hier hing ein vielfach geknotetes Seil herab. Hoch oben befand sich eine Hütte, ganz ähnlich wie jene, die er bereits gesehen hatte. Vor ihrem Eingang gab es sogar etwas, das man mit viel gutem Willen eine Terrasse nennen konnte: ein paar aneinander geschobene, grob gespaltene Bretter, die auf zwei dicke Äste genagelt waren. Parrad hockte sich darauf. »Die Hütte gehört jetzt dir«, sagte er steif. »Der Mann, der sie vorher bewohnte, hatte sich beim Holzfällen ein paar Finger abgehackt und ist daran gestorben.«
    Anschar warf einen Blick hinein. Sie roch modrig und war von Spinnweben durchzogen. Nichts befand sich darin. Er schob sich an Parrads Seite und zog die Beine an, um an ihnen zu kratzen. »So, und das soll mein Zuhause sein. Ihr seid doch verrückt.« Nur wenige Schritte von der Zeder entfernt entdeckte er einen winzigen Bachlauf. »Wenigstens kann ich mich hier waschen. Um ein Messer zum Rasieren muss ich dann wohl betteln, wie um alles andere.«
    Parrad machte Anstalten, hinunterzuklettern. »Geh mit deinem Hochmut dem Wald auf die Nerven, Argade.«
    »Warte.« Anschar hielt ihn an der Schulter zurück. »Setz dich wieder!«
    Der Wüstenmann tat es zögernd und verschränkte die Arme. »Wir haben einander nichts zu sagen.«

    »O doch! So leichtfertig, wie du mich in den Werkstätten deinen Freund genannt hast, so schnell passiert wohl auch das Gegenteil. Du bist mir ein windiger Freund.«
    »Du wolltest nie, dass ich dich so nenne.«
    »Stimmt. Du magst mich nicht, das ist verständlich. Ich mag dich ja auch nicht. Aber selbst Tiere gehen gelegentlich Zweckbündnisse ein. Parrad! Ich wollte dich nicht verraten. Wir waren beide nicht Herr unserer Sinne. Du musst das wissen, es geschah erst vor einer Woche.«
    »Vor elf Tagen, um genau zu sein.«
    »Elf Tage. Kommt mir wie eine halbe Ewigkeit vor, wenn man bedenkt, was seitdem alles geschehen ist. Ich bitte

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