Das gläserne Tor
weniger gefährlich. Mit bangem Herzen sah sie zu, wie er sich den Schwertgürtel umschnallte und den Geldbeutel daran festband. Auch Parrad und Oream legten sich Schwerter um.
»Machen wir es besser als gestern.« Anschar schickte Parrad einen Blick, der vorwurfsvoll wirkte. Ergeben seufzte der Wüstenmann auf.
Anschar beugte sich zu Grazia herab und berührte sie unter dem Kinn. »Mach dir nicht zu viele Sorgen. Und wenn du es tust, bete zu deinem Gott für mich.«
Sie wollte ihn umarmen. Bleischwer lagen ihre Hände im Schoß.
Er ging mit Parrad und Oream zu dem Unterstand und sattelte die Pferde. Es waren zwei Schwarzbraune und ein Hellbrauner. Die argadischen Pferde waren schlank, beinahe dürr. Schopf und Mähne besaßen sie nicht. Dennoch waren es schöne Tiere. Ob auch sie geraubt waren? Grazia sah zu, wie Anschar sich in den Sattel schwang und die Zügel ergriff. Die Frauen hatten sich erhoben, als er, Oream und Parrad hinter sich, an der Kochstelle vorbeiritt. Er lenkte sein Pferd auf jenen Pfad, den sie gestern gekommen waren. Bald hatte der Wald sie verschluckt, und die Frauen setzten sich wieder hin. Gespräche kamen in Gang, die sich um das drehten, was die drei Männer holen wollten. Getreide und Werkzeuge vor allem. Küchenmesser, Schnitzmesser, Beile, Reibsteine zum Glätten von Holz. Bronze war wesentlich, um den erbärmlichen Lebensstandard zu halten, und Grazia fragte sich, wie sie gehaust hatten, bevor Anschar gekommen war. Hatten sie Steinwerkzeuge benutzt? Sie hörte, wie sich zwei Männer darüber unterhielten, dass es besser sei, eine eigene Schmiede zu haben. Aber niemand verstand sich hier aufs Schmiedehandwerk.
Eine Frau kam und hielt ihr ein begonnenes Flechtwerk hin. »Möchtest du uns helfen?«, fragte sie und lächelte schüchtern.
Grazia nahm es entgegen, dankbar für die Aufmerksamkeit. »Sehr gern. Aber gut bin ich darin nicht.«
Sie befingerte das Gewirr der Grasfasern. Die Lage erinnerte sie an jene Tage in der Wüste, als sie geglaubt hatte, Anschar müsse sterben, weil er ohne Wasser fortgejagt worden
war. Inmitten eines primitiven Volkes beschäftigte sie sich mit Körbeflechten, während er in Gefahr war. Was hatte sich seitdem eigentlich getan? Drehten sie sich im Kreis? Würde das nie enden? Er hatte recht, das war kein Leben.
Mit einem leisen Aufschrei warf sie die Arbeit weg, raffte das Gewand und hastete in den Wald. »Anschar!«, schrie sie. »Anschar! Warte!«
Es war erschreckend düster im Wald. Die Bäume und das Unterholz warfen lange Schatten. Bereits nach wenigen Schritten wusste sie nicht, ob sie sich noch auf dem Pfad befand. Hinter sich hörte sie jemanden rufen, sie möge stehen bleiben, aber sie rannte weiter, stolperte fast über den unebenen Boden und stieß sich die Zehen an einer aufragenden Wurzel. Mit zusammengebissenen Zähnen lief sie weiter. Und dann sah sie ihn. Er wendete das Pferd zwischen den Bäumen und sprang ab. Grazia rannte ihm entgegen. Seine starken Hände fingen sie auf. Sie krallte sich an seinem Mantel fest und fing an zu weinen. Doch ihre Tränen stockten, als sie spürte, dass er zornig war. Er zerrte ihre Hände herunter, hielt sie auf Abstand und funkelte sie an, mit einer Mischung aus Mitleid und Ärger.
»Tu das nie wieder!«, herrschte er sie an. »So kopflos rennt man nicht in den Wald! Du hast dich hier schneller verirrt, als du dir vorstellen kannst.«
»Aber ich …«
»Nein!« Sein Zeigefinger schwebte dicht vor ihren Augen. »Dafür gibt es keine Entschuldigung.«
»Ich habe Angst um dich.«
»Ja, das weiß ich. Es hilft aber nicht, wenn du dafür sorgst, dass ich auch um dich fürchten muss.«
»Nimm mich mit.«
Hart lachte er auf. Der Gedanke musste ihm so abwegig erscheinen, dass er nichts einzuwenden wusste.
»Bitte!«
»Geh wieder zurück.« Seine Erregung wich. Er strich ihr über die Wange. »Wenn heute alles gut geht, brauche ich ein paar Wochen nicht mehr loszuziehen.«
Ein paar Wochen? Nur ein paar Wochen Ruhe vor der nächsten Furcht, die sie ausstehen musste? Anschar ließ sie los und stieg wieder auf sein Pferd. Er warf einen begütigenden Blick zurück über die Schulter, dann folgte er Parrad und Oream, die gewartet hatten. Als sich Grazia umwandte, stand einer der Wüstenmänner vor ihr.
»Es ist gefährlich …«, fing er an, aber sie winkte ab.
»Wenn ich etwas begriffen habe, dann das«, antwortete sie düster. Wie sollte das Leben an der Seite eines Kriegers ungefährlich sein? Im
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