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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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Schwert aus der Scheide. Für einen Moment schien alles Leben auf der dicht gedrängten Treppe zu erstarren. Dann ergriff er ihre Hand und zog sie mit sich hinauf. Die Männer sprangen seitlich herunter oder stolperten rückwärts hinauf, wo andere, die den Grund für den Rückzug nicht sahen, lauthals fluchten. Grazia hörte, wie sie Anschars Namen beinahe ehrfurchtsvoll flüsterten. Wer ihn mit dem Schwert und der Tätowierung sah, die nur auf dem Handrücken von den Binden bedeckt wurde, machte ihm Platz.
    In der Hütte darüber mussten sie hinaus auf eine der wackligen Treppen im Freien. Dicht drängte er sie an die Hüttenwand, während von oben ein Strom von Menschen kam und sich an ihnen vorbeischob. Er hielt das Schwert vor sich. Grazia versuchte nach dem Feuer Ausschau zu halten, aber die Treppen und vorspringenden Hütten verdeckten die Sicht. Als ein brennendes Grasseil herabsegelte, wusste sie, dass die Nachricht der Wahrheit entsprach. Wieder versuchte sie Anschar dazu zu bringen, mit den anderen nach unten zu laufen, aber er schüttelte nur den Kopf, ohne sie anzusehen.
    Die Menschen auf der Treppe schrien auf, als ein Schatten an ihnen vorbeiflog. Ein Körper? Vor Entsetzen knickten Grazia die Knie weg. Anschar umfasste ihre Taille und kämpfte sich in eine der Hütten durch. Hier war mehr Platz, und sie konnten in den nächsten Minuten unbehelligt weitersteigen. Grazia rang nach Atem. Roch es da nicht nach Rauch? Ihr Arm schmerzte, denn Anschar zog unerbittlich an ihrer Fessel. Er hatte das Seil um sein Handgelenk geschlungen.
    »Anschar!« Schelgiur kam ihnen entgegengesprungen. Aus seinem Ziegenbart troff der Schweiß. »Ich dachte, du bist tot? Was, bei allen Göttern … Macht, dass ihr nach unten kommt!« Der Wirt hastete zur Bodenluke. Bevor er gänzlich darin verschwand, bückte sich Anschar und hielt ihn an seinem Kittel fest.

    »Nach unten schaffst du es erst recht nicht! Es geht viel zu langsam vorwärts.«
    Schelgiur stieß seine Hand weg. »Ich bin doch nicht irre und laufe dem Feuer entgegen? Da oben brennt alles! «
    Er verschwand im darunterliegenden Raum. »Schwachkopf!«, fauchte Anschar ihm hinterher.
    Grazia überfiel eine Mattigkeit, die ihre Füße erlahmen ließ. »Wir schaffen es«, sagte er und wollte sie zur nächsten Treppe drängen, als vor ihnen ein riesiger Tonkrug durch die Decke krachte. Wein spritzte umher. Der Krug durchbrach den Boden. Ein dumpfer Schlag ertönte, dem Schreie folgten. Es krachte, als habe der Krug Knochen zersplittert. Grazia fand sich im nächsthöheren Geschoss wieder, ohne sich zu erinnern, wie sie hinaufgekommen war. Über ihr klaffte eine riesige Lücke in der Felswand – dort, wo eine Hütte gewesen war, hingen nur noch Bretter an gerissenen Seilen. Ein Mann hing an einem Brett. Vor ihren Augen sackte er, das Holz umklammernd, in die Tiefe.
    Vielleicht zehn Meter über ihrem Kopf brannte die Stadt. Aus dichtem schwarzem Rauch züngelten rötliche Flammen. Etwas kam auf sie zu, das einen Rauchschweif nach sich zog. Sie starrte darauf, unfähig, sich zu rühren. Anschar hob sie beiseite, und da sauste es dicht an ihr vorbei. Es war ein Sack. Oder ein Tier? Als Nächstes folgte ein zersplitterter Tisch. Aufschreiend kreuzte sie die Arme vor dem Gesicht.
    »Nichts ist passiert«, keuchte Anschar. »Weiter.«
    Sie versuchte ihrer wackligen Knie Herr zu werden, als sie hinter ihm ein schmales Sims betrat, das schräg zu einer weiteren Hütte führte. Nicht nach unten sehen, ermahnte sie sich. Aber auch nicht hinauf! Sie schrie auf, als brennende Grasseile vor ihrem Gesicht auftauchten. Mit seinem Schwert fuhr Anschar dazwischen.
    »Dort!« Er deutete mit dem Schwert voraus, schräg die
Wand hinauf. »Schelgiurs Hütte. Wir müssen in seine Felsnische, dort sind wir sicher.«
    Das Sims mündete in Stufen, die aus den Felsen gehauen waren. Von oben suchten Herscheden ihren Weg. Anschar rannte die Stufen hinauf, bevor die Männer die Treppe betraten, und warf sich mit Grazia in die nächste Hütte, deren Dach Feuer gefangen hatte. Sie würden es niemals schaffen! Grazia bewegte sich nur noch, weil Anschar es wollte. Mit dem Band um ihre Hand zwang er sie immer weiter, obwohl ihre Beine kraftlos waren. Schließlich steckte er das Schwert weg, um sie halb zu ziehen, halb zu tragen. Schelgiurs Hütte war fast erreicht. Doch sie stand in Flammen. Der Wind wehte die Hitze und den Qualm zu ihnen herüber.
    »Was jetzt?« Grazia hustete und klammerte sich an

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