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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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rufen um Hilfe und werden zu Mallayur gebracht.«

    »Oder wir gehen durch den Gang.«
    »Den … Gang?«
    Anschar deutete mit dem Daumen ans Ende der Nische, wo sich unzählige hüfthohe Krüge auf kunstvolle Weise stapelten. »Da hinten. Er führt zur Weinhandlung vor dem Palast.«
    Die Weinhandlung? Oft hatte sie von der Terrasse aus beobachtet, wie im Boden vor dem Laden die Sklaven mit schweren Krügen verschwunden waren, aber nie war sie auf den Gedanken gekommen, es könne etwas anderes als ein Keller sein. »Anschar! Warum sagst du mir das erst jetzt?«
    »Ich wollte ja gar nicht durch den Gang. Oder hältst du es für eine gute Idee, in Sichtweite der Palastwachen aus dem Fels zu steigen? Wir sehen nicht gerade wie Trägersklaven aus, und nach dem Brand wird erst recht jeder hinschauen.«
    Sie blinzelte immer noch verwirrt.
    »Überrascht dich das so? Hast du wirklich gedacht, Schelgiur ließe sich diese riesigen Krüge über die Treppen bringen? Die wären unter dem Gewicht eingebrochen.«
    »Ob er es geschafft hat?«
    Er hob einen der kleineren Krüge herunter und stellte ihn auf den Boden. Dann packte er den Rand eines hüfthohen Gefäßes, um es beiseitezudrehen. Unvermittelt ließ er den Kopf sinken, bis die Stirn den Deckel berührte. »Er hätte nur einen Schritt hier herein machen müssen, statt sich von der Panik anstecken zu lassen.« Mit einem grimmigen Knurren richtete er sich auf und machte weiter. Grazia betastete die flachen Deckel der großen Gefäße. Sie wirkten dünner als die Seitenwände.
    »Können wir sie nicht einschlagen und umkippen?«
    »Nein, wir sollten tunlichst vermeiden, auf uns aufmerksam zu machen, indem wir es Bier und Wein regnen lassen. Wir müssen die verdammten Dinger sorgfältig umschichten.«
    »Und wenn jemand den Gang nimmt, um hier nachzuschauen?«
    »Man kann die Falltür nur von dieser Seite öffnen, wenn ich mich nicht irre.«
    Sie half ihm, indem sie die kleineren Krüge zur Seite räumte. Bald wurde eine schmale Öffnung sichtbar. Anschar fluchte, während er sich abmühte, einen Durchgang zu schaffen. Dabei ließ er es sich nicht nehmen, den ein oder anderen Bierkrug mit dem Griff seines Messers aufzuschlagen und zu kosten. »Umsonst kriege ich’s nie wieder«, meinte er. »Was hat den Gierhals nur bewogen, so viele Krüge einzukaufen? Ohne deine Gabe könnte ich jetzt guten Gewissens sagen, hier wenigstens nicht verdursten zu müssen. Vielleicht wäre es besser, hierzubleiben und auf den Hungertod zu warten. Mir ist nämlich nicht ganz klar, wie wir ungesehen den Platz vor dem Palast betreten wollen.«
    Der Gang war frei. Anschar ging hinein und suchte die Wand ab. Bereits nach wenigen Schritten war es stockdunkel. »Du hast nicht zufällig deine Feuerhölzchen dabei?«
    »Nein.«
    »Hier irgendwo … Ah, hier.« Auf dem Boden fand er Material zum Feuermachen; sie hörte es klicken, und kurz darauf richtete er sich mit einem Kienspan in den Fingern auf. Aus einem Ring an der Wand nahm er eine Fackel und entzündete sie. »Komm.«
    Sie folgte ihm in die Schwärze. Der Gang war unregelmäßig aus dem Fels gehauen und führte leicht nach oben. Unter ihren Sohlen knirschte allerlei Unrat, den die Sklaven im Lauf der Zeit hinterlassen hatten. Scherben, Trageseile, eine alte Sandale. Aber wenigstens gab es kaum Spinnweben und kein Getier, das einem über die Füße zu huschen drohte. Nach einigen Metern begann eine Treppe. Grazia raffte ihr Gewand. Die Stufen waren unregelmäßig und ausgetreten, sodass sie
den Blick fest auf Anschars Schritte richten musste. Endlos zog sich die Treppe hin, dann folgte ein weiterer Gang, der wiederum in einer Treppe endete. Gerade als sie etwas anmerken wollte, gelangten sie in einen kleinen Raum. Auch hier standen Gefäße an den Wänden. Ein kleines Kühlbecken, ähnlich jenem, das sie im herschedischen Palastkeller gesehen hatte, nahm eine Hälfte der Kammer ein. Wasser glitzerte im Fackellicht. An der anderen Seite führte eine Treppe hinauf, die in der meterdicken Felsendecke verschwand. Grazia entdeckte an ihrem Ende die Falltür. Der bronzene Riegel glänzte wie frisch eingefettet.
    »Hörst du das?«, flüsterte Anschar. Gedämpft waren die Stimmen der Menschen zu hören, die über den Platz gingen. Die Falltür klapperte, als jemand darauftrat. »Wir müssen leise sein.«
    Er steckte die Fackel in einen Ring an der Wand. Grazia setzte sich auf die Treppe und zog die Knie an. Es war kalt hier unten. Oder zitterte sie,

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