Das gläserne Tor
Schließlich nickte er. »Was soll ich tun?«
»Ich brauche Licht.«
Sichtlich erleichtert, dass es nur eine Kleinigkeit war, lief er in Richtung des Sklavenschlafraums. Bald darauf brachte er ein winziges kugelförmiges Öllämpchen. Anschar nahm es an sich und nickte ihm dankend zu. Es war Zeit, zu verschwinden, bevor einer der anderen Sklaven ihn bemerkte. Was er von ihnen zu erwarten hatte, wusste er nicht genau. Egnasch erstochen zu haben, hielt man ihm sicher zugute; andererseits hatte er ihnen gegenüber selten einen Hehl daraus gemacht, wie sehr er sie verachtete. Flüchtig fragte er sich, ob sich daran seit der Zeit im Wald etwas geändert hatte. Aber rasch verdrängte er die Überlegung, denn dazu war wahrhaftig keine Zeit. Bedeutungslos war es ohnehin. Grazia war in Gefahr, und er selbst ebenfalls.
Unbehelligt gelangte er in das Gewölbe. Als er auf der obersten Stufe der Treppe stand, die linker Hand hinunterführte, streckte er die Lampe vor, auf der Suche nach dem Behälter. Nur zu gut erinnerte er sich an das Gefühl harten Metalls unter den Fingern, das keines war, sondern – nichts. Wie konnte man ein Nichts beschädigen oder gar zerstören? Wild mit dem Schwert darauf einschlagen? Es umkippen? Alles das würde ein Getöse erzeugen, das den ganzen Palast zusammentrieb. Und sollte es wider Erwarten gelingen, war ihm der Gott dann ein Verbündeter? Oder kümmerte ihn nicht, was mit der Frau geschah, der er die Fähigkeit geschenkt hatte, Wasser zu schaffen?
Mit der Hand schirmte er die Flamme ab, während er hinunterstieg. Aus der Schwärze schälten sich all die Gegenstände, die er hier gesehen hatte. Auch der Tisch stand noch da, auf den Egnasch und der Sklavenjunge gestiegen waren. Nur der Behälter war nicht zu sehen.
»Verdammt! Auch das noch.« Mit vorgestreckter Hand, tastend wie ein Blinder, ging er dorthin, wo er vermutete, dass er stand.
»Ich hätte nicht gedacht, dich noch einmal wiederzusehen.« Mallayur fasste ihr ins Haar und zwirbelte nachdenklich eine Strähne. Sie wollte zurückweichen, doch der Palastsoldat hielt sie unbarmherzig an der Schulter fest, während er ihr einen Dolch an die Kehle hielt. Grazia wagte kaum zu schlucken, so dicht drückte sich die Klinge an ihre Haut. Der Mann hatte sie in einen von Kolonnaden umschlossenen Garten geführt. Fackeln steckten im Gras, das eher nach Stroh aussah, und beleuchteten kahle Büsche und umherwehendes Herbstlaub.
Die Finger des Königs wanderten über ihre aufgeplatzte Wange hinunter zu der geschwollenen Lippe. Es tat weh, als er in ihr Kinn kniff, um ihren Kopf zu drehen. »Siehst ja schlimm aus.« Unter hochgezogener Augenbraue warf er einen Blick zu seinem Untergebenen, tadelnd wie anerkennend zugleich.
»Sie hat sich gewehrt, Herr«, erklärte der Wächter. »Sie kann Wasser machen, und ich nähme den Dolch ungern herunter.«
»Ich weiß. Pass gut auf sie auf.« Mallayur ließ nicht ab, sie zu betrachten und zu befingern. »Wieso hast du dich als Wüstenfrau herausgeputzt? Möchtest du etwa Sklavin werden? In meinem Haushalt ist immer Platz. Es war dumm von dir,
damals wegzulaufen. Ich hätte dich mit Gold überschüttet, damit du mir dienst.«
»Ich kann …«, hauchte sie und hielt aus Furcht vor dem Dolch inne.
»Ja?«
»Ich kann Hersched nicht bewässern.«
Er nickte langsam. »Ja, das ist mir dann auch klar geworden. Andernfalls hätte Argad die Dürre überwunden. Du warst lange genug im Gewahrsam meines Bruders, aber auch er hat aus dir nicht viel herausholen können. Das hast du im Tempel ja eindrucksvoll bewiesen. Trotzdem hätte es mir gefallen, dich … zu haben.« Wieder strich er ihr durchs Haar. »Dein Wasser zu trinken. Und diesen Garten zu bewässern. Wenigstens dafür hätte es doch gereicht, oder?«
Wollte er darauf jetzt noch eine Antwort haben? Grazia presste die schmerzenden Lippen zusammen und schwieg.
»Weißt du«, sagte er mit verschwörerischem Unterton, wobei er der Frau mit den silbernen Augen, die wenige Schritte abseits stand, einen Blick zuwarf. »Wasser ist so viel erfreulicher als Luft. Man kann so viel mehr damit machen. Könnte ich mir jedenfalls vorstellen.«
Die Frau hob belustigt einen Mundwinkel und trat näher. Mit beiden Händen formte sie eine Schale und hielt sie Grazia vor die Nase. »Zeig mir, was du kannst. Bisher habe ich davon nur gehört, aber nichts gesehen.«
Grazia tat nichts.
»Willst du nicht? Oder kannst du nicht?«
»Sie kann, Geeryu. Sie kann.«
Die
Weitere Kostenlose Bücher