Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
Vom Netzwerk:
Hungersnot verursacht. Danach schickte mein König mich los.«
    Tuhram hatte aufmerksam zugehört. Nun wandte er sich an Tuhrod, die mit den Schultern zuckte. Sogar zu Grazia drehte er sich um, doch sie konnte erst recht nichts Erhellendes dazu beitragen. Sie war sich nicht einmal sicher, alles verstanden zu haben.
    »Dieser Gott, der angeblich hier irgendwo eine Oase geschaffen hat, soll die Hochebene wieder fruchtbar machen?«, fragte Tuhram den Gefangenen. »Darum geht es?«
    »Ja.«
    »Wie könnt ihr glauben, einen Gott zu befreien, den andere Götter gefangen gesetzt haben?«
    »Diese Frage hat man sich natürlich auch gestellt. Man sagt, dass dem Gott ab und zu die Flucht gelingt. Im Grunde weiß ich darüber aber nichts, für dieses Problem hatte ich ja einen Priester bei mir – den ihr abgeschlachtet habt. Der wusste zwar auch nicht viel mehr, aber ich allein kann gar nichts tun. Glaubst du jetzt, dass ich kein Sklavenhändler bin?«
    Tuhram wiegte das kahle Haupt. »Was ist wohl wahrscheinlicher? Dass diese krude Geschichte stimmt? Oder dass du eben doch nur ein verirrter Sklavenfänger bist, der Zeit genug hatte, sie sich auszudenken?«
    »Ich hatte Zeit, ja«, brummte Anschar. »Genug, um mir etwas Glaubwürdigeres einfallen zu lassen. Sie ist wahr.«
    »Und das ist so bestechend an ihr.« Tuhram entblößte die Zahnstummel zu einem heiteren Lächeln. »Dass sie zu verrückt ist, um gelogen zu sein. Aber sie ist auch zu verrückt, um wahr zu sein. Sie ist irgendetwas dazwischen, und daher weiß ich nicht, was ich mit dir tun soll. Nun, da es hier weit und breit keine Oase gibt, die eines Gottes würdig ist, bist
du gescheitert, gleichgültig, was mit dir geschieht. Hm, was tue ich nun mit dir? Dich freilassen? Das hilft dir nicht, denn allein kannst du nie die Wüste überwinden, um in deine Heimat zurückzukehren. Du könntest aber hier bleiben und uns ein wenig für das entschädigen, was deine Leute uns antun.«
    »Du willst, dass ich euch … diene?« Anschar spuckte die Worte aus und verzog angewidert das Gesicht. »Glaubst du, ich wollte hier alt werden? Bei Inars Zunge, welch ein abscheulicher Gedanke! Du hast nur zwei Möglichkeiten: mich freizulassen oder zu töten.«
    Schweigen breitete sich aus. Anschar blickte zum Zelteingang, als habe er hiermit alles gesagt. Grazia schlug das Herz bis zum Hals. Als Sklaven konnte sie sich ihn wahrhaftig nicht vorstellen. Tot schon gar nicht. Ob er seine Geschichte tatsächlich selbst glaubte? Sie passte immerhin zu den Geschichten und Legenden, die er bisher erzählt hatte.
    Es ist nur eine Sage, überlegte sie. Er glaubt sie, weil er in dieser Kultur aufgewachsen ist. Das ist alles.
    Sie holte tief Luft. Irgendetwas musste sie für ihn tun. Sie wusste nur nicht, was.
    »Kann ich ihn haben?«, platzte sie heraus. »Wenn du ihn … zum Sklaven machst, kann ich ihn kaufen.« Sie kramte in ihrer Tasche und förderte die Uhr ihres Bruders zutage. Justus würde den Verlust verschmerzen, wenn sie ihm erzählte, was sie damit getan hatte. Wenn er ihre Geschichte hörte, würde er gar keine Gelegenheit haben, die Uhr zu vermissen. »Hier. Das gebe ich für ihn.«
    Tuhram beugte sich über ihre ausgestreckte Handfläche. »Metall. Dort, wo man feste Häuser baut, meint man, damit alles bewerkstelligen zu können. Kein Werkzeug ist nützlicher als Felsengras.«
    »Aber das ist nützlich! Es ist …«

    »Schweig!«, donnerte Anschar. Er schüttelte den Kopf und starrte sie so böse an, dass ihr vor Schreck fast die Uhr aus der Hand fiel.
    Tuhram schmunzelte. »Die Hochländer halten sich zwar Sklaven, aber selbst einer zu werden, das erscheint ihnen natürlich undenkbar. Nimm das Ding weg. Habe ich nicht deutlich gemacht, dass ich deine Sachen nicht anfassen will?«
    Grazia zog sich hastig zurück und stopfte die Uhr in die Tasche. Sie wagte kaum, noch einmal zu Anschar hinüberzusehen.
    »Morgen früh entscheide ich«, sagte Tuhram. »Tuhrod, hole die Männer, damit sie ihn wieder einsperren. Ich will schlafen.«
    Tuhrod sprang auf und streckte den Kopf aus dem Zelt; sofort kehrten die Männer zurück und packten Anschar, der schon aufgestanden war, an den Oberarmen. Er ließ sich widerstandslos wegführen. Noch eine Nacht in der scheußlichen Höhle, dachte Grazia. Vielleicht die letzte.
    Sie rutschte rückwärts in die hinterste Ecke und kauerte sich unter einer Decke zusammen, da sie fror und der Älteste sie ohnehin nicht mehr beachtete. Die Tasche hielt sie an

Weitere Kostenlose Bücher