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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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Leute verteidigt, das ist wohl richtig«, fuhr sie fort. Die Klinge blitzte im Licht der Öllampe, als sie sie drehte. »Aber sie kamen in feindlicher Absicht her. Das jedenfalls glaube ich. Wir alle glauben das. Da er es bestreitet, habe ich ihn verschont. Entscheide du.«
    Tuhram nickte und rieb sich das Kinn. »Es geschieht selten, dass unser Volk einen von ihnen in die Finger bekommt. Sie sind nicht stärker, aber besser bewaffnet. Unsere Männer taugen zum Jagen, aber wenig zum Kämpfen. In der Hochebene weiß man, was Krieg ist. Dort gilt das Leben eines Wüstenmannes nichts.« Er ließ sich das Schwert in die ausgestreckten Hände legen und neigte den Kopf darüber. »Wirklich erstaunlich. Hier gibt es wenige Männer, die sich auf Metallbearbeitung verstehen, und diese kämen nie auf den Gedanken, so etwas anzufertigen.«
    Grazia fragte sich, was er wohl sagen würde, könnte er die Waffen ihrer Zeit sehen. Wahrscheinlich würde er angesichts eines Kanonengeschützes in Ohnmacht fallen.

    Er legte es beiseite und wandte sich an Anschar. »Bist du ein Sklavenhändler?«
    »Nein.«
    »Das ist unglaubwürdig, das weißt du?«
    »Ja.«
    Grazia japste und schlug sich die Hand vor den Mund. Die Männer warfen ihr missbilligende Blicke zu. Sklavenhändler? Dieses Wort hatte sie bereits in den ersten Tagen gelernt, denn die Wüstenmenschen fürchteten sich vor den Sklavenfängern aus dem Hochland. Nicht einen Augenblick lang war sie jedoch auf den Gedanken gekommen, Anschar könne einer sein.
    »Was bist du dann?«, fragte Tuhram.
    »Ein Krieger.« Anschars Miene wurde noch finsterer. »Einer der zehn besten Krieger des Hochlandes.« Er spuckte es den Männern geradezu vor die Füße. Sie murrten, einige sprangen auf und zogen Messer, die sie in seine Richtung stießen. Tuhram forderte sie mit erhobenen Händen auf, sich wieder zu setzen.
    »Mit denen rede ich nicht«, sagte Anschar, jetzt etwas ruhiger, als habe er sich wieder unter Kontrolle. »Nur mit dir und meinetwegen mit Tuhrod. Und die Rothaarige soll auch bleiben.«
    »Wer bist du, hier Forderungen zu …«, schrie einer der Männer, doch Tuhrams Handbewegung brachte ihn zum Schweigen.
    »Ihr geht alle hinaus. Bis auf die Frauen.«
    Fassungslosigkeit machte sich auf den bärtigen Gesichtern breit. Die Augen der Männer funkelten wie schwarz lackiert. Doch sie gehorchten. Einer nach dem anderen verließ das Zelt. Grazia spürte, wie ihre Anspannung wich.
    »So, jetzt sind wir allein. Das da brauchen wir wohl nicht mehr.« Tuhram berührte den Schwertgriff und blickte auffordernd
zu Tuhrod, die die Waffe zurück hinter die herabhängenden Decken brachte. »Warum bist du gekommen?«
    »Um den letzten Gott zu finden«, antwortete Anschar ohne weiteres Zögern. »Den letzten Gott, der in dieser Welt weilt.«
    Sie schwiegen sich an. Tuhram und Tuhrod wechselten einen Blick, der besagte, dass sie mit allem gerechnet hatten, nur damit nicht.
    »Er ist nicht unser Gott, wie alle eure Götter nicht die unsrigen sind«, sagte Tuhram nach einer Weile. »Aber wir kennen die Geschichten, die sich um ihn ranken. Er hat eine Schwäche für die Menschen des Hochlandes, und so blieb er bei ihnen, als die anderen Götter es verließen, weil sie es leid waren, euch kämpfen zu sehen. Ihr versteht es, Waffen zu schmieden und zu gebrauchen, aber ihr versteht es nicht, eure Götter zu besänftigen. Sie sind vermutlich so abscheulich wie ihr.«
    »Und du verstehst es nicht, deine Abneigung zu verbergen«, erwiderte Anschar unbeeindruckt. »Nun gut, das tue ich auch nicht.«
    Tuhram machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das gestehe mir zu, so sehr, wie dein Volk das meine quält. Aber sprich weiter. Weshalb wolltest du diesen Gott finden?«
    »Um ihn meinem König zu bringen. Der Gott wurde von seinen Eltern vor langer Zeit an einen Ort tief in der Wüste verbannt, zur Strafe, weil er ihnen nicht folgen wollte. Dort entstand eine Oase. Ein Priester begleitete uns. Er sagte, sie sei hier irgendwo.« Anschar zuckte mit den Schultern, und Grazia malte sich aus, wie er verächtlich abwinkte, hätte er die Hände frei. »Er ist jetzt tot. Jedenfalls … der Grund, ach ja.« Er schnaufte, als müsse er sich jedes Wort abringen. »Seit einigen Jahrzehnten breitet sich auf der Hochebene Trockenheit aus. Es ist heißer als üblich, es regnet weniger.
Es gibt ständig Missernten, die Flüsse führen kaum noch Wasser, der Pegel des Großen Sees sinkt. Die letzte Missernte hätte fast eine

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