Das gläserne Tor
Erster heimkehrt. Oder das, was von ihm übrig ist. Leider war ich auch so dumm, auf deinen Erfolg zu wetten. Das macht einen Verlust von zwölf Silberstücken. Allmächtige Götter!« Er fasste sich an die Stirn. »Wie konnte ich nur so leichtsinnig sein? Kannst du wenigstens das Bier bezahlen? So abgerissen, wie du aussiehst? Wo ist eigentlich der Rest des Trupps?«
»Tot, Schelgiur. Alle.«
»Auch der Priester, den du bei dir hattest? Na, das dürfte kein Vergnügen für dich werden, mit dieser Nachricht vor den Meya zu treten.« Der Wirt deutete mit dem Daumen auf Grazia. »Und wer ist die? Hast du dir etwa gesagt, wenn ich schon den Gott nicht finde, fange ich mir wenigstens eine Sklavin?«
Anschar öffnete den Beutel, den er für das Sturhorn bekommen hatte, förderte eine Münze zutage und legte sie auf den Tisch. Schelgiurs dürre Finger griffen danach, doch Grazia war schneller.
»Darf ich mir das ansehen?«
Die Münze schimmerte kupfrig. Ein Loch war darin, wohl zum Auffädeln. Grazia befingerte das Kupferstück von allen
Seiten. Es war mit Schriftzeichen versehen, die ein wenig an mesopotamische Keilschriften erinnerten. Dazwischen waren zwei Köpfe erkennbar, die sich einander zugewandt hatten. Es musste sich um das Götterpaar handeln.
»He, Anschar, hat sie noch nie eine Münze gesehen? Ich dachte, die Wüstenmenschen kennen unser Geld.«
»Sie ist nicht aus der Wüste.« Anschar nahm ihr die Münze ab und legte sie in Schelgiurs ausgestreckte Hand. »Sie ist nur etwas merkwürdig.«
»Merkwürdig?«
»Ja. Pass auf.« Blitzschnell packte Anschar ihr Gewand an den Knien und zog es ein Stück hoch. Grazia stieß einen Schrei aus und wollte ihn ohrfeigen, doch er fing ihre Hand ab, ohne hinzusehen. Sie entzog sich ihm und strich mit ärgerlichen Bewegungen den Stoff glatt. Der Wirt glotzte sie an.
»Was war denn das? Sie ist wirklich verrückt. Und dann diese Flecken! Was willst du mit ihr? Sie an Fergo verkaufen? Aber ob der für fleckige Wüstenfrauen den üblichen Preis gibt?«
»Sie ist keine Wüstenfrau, das sagte ich bereits. Eine Sklavin ist sie auch nicht.«
»Was soll sie denn sonst sein? Kann es sein, dass sie dich durcheinandergebracht hat? Aber vielleicht wart ihr beide ja einfach nur zu lange da draußen.« Schelgiur tippte sich an die Stirn. »Mir wird es hier ja schon zu viel, wenn die Sonne an die Felswand brennt. Komm. Unterhalten wir uns in einer ruhigen Ecke. Da habe ich auch den guten, eingelegten Braten.«
»Damit verschone uns lieber.« Anschar erhob sich von der Bank und zog Grazia mit sich. Sie stiegen in eine Nische, die sich zu einer Höhle verbreiterte. An ihren Wänden stapelten sich Krüge, manche hüfthoch, bis zur Decke. Diese gewaltigen Behältnisse über die wackligen Treppen heranzuschaffen,
war sicherlich die Aufgabe bedauernswerter Sklaven. Jetzt wusste Grazia immerhin, warum das Bier so kühl war.
Sie hockten sich auf niedrige Krüge mit tönernen Deckeln. Schelgiur neigte Anschar den Kopf zu. »Wie lange warst du jetzt weg? Ein halbes Jahr, oder?«
»Ungefähr. Was gibt es Neues?«
»Der elende Fluch der Götter plagt uns unverändert. Der Pegel des Großen Sees ist weiter gesunken. Bald schaffen es die Toten ans Ufer, sagt man. Die letzte Ernte war so schlecht wie noch nie. Diese verfluchte Trockenheit, alles macht sie teurer! Das Bier auch, eigentlich hätte ich dir zwei Kupferstücke abnehmen sollen.«
»Bist du irre? Als ich wegging, kostete es die Hälfte!«
»Ich sagte doch, der Fluch ist schuld.«
»Weißt du, wie es Henon geht?«
»Gut, soviel ich weiß. Schiusudrar ist gestorben.«
»Nein!«, fuhr Anschar auf. »Wie ist denn das passiert?«
»Er hatte einen eitrigen Zahn, bekam Fieber und … nun ja, so fing es an und war nicht mehr aufzuhalten. Kein angemessener Tod für einen der Zehn, aber danach fragen die Götter nicht. Es gab eine Prüfung für Neuzugänge, aber niemand hat es geschafft. Jetzt gibt es von euch nur noch vier.«
Die Zehn waren selten vollständig, das hatte Grazia schon von Anschar gelernt, als er im Wüstendorf gefangen gewesen war. Die Ansprüche an diese Kriegerkaste waren hoch, und selten fand sich ein Anwärter, der sie erfüllen konnte.
Anschar hob die Schultern. »Und sonst?«
Schelgiur schürzte die Lippen und warf einen misstrauischen Blick in Richtung des Schankraums, als wolle er sichergehen, dass ihn niemand hörte. Seine Stirn krauste sich. »Es heißt, in Mallayurs Palast lebe eine Nihaye.«
»Ach?
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