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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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bald los zu sein, oder?«
    »Du hast alles getan, um dafür zu sorgen, dass ich dich lästig finde.« Er rang sich ein Grinsen ab, das genauso unecht wirkte, und streifte die Kapuze von ihrem zerzausten Kopf. »Das da brauchst du jetzt nicht mehr, dein Haar können wir ja nicht ewig verstecken. Die Wüstenkleider lasse ich verbrennen.«
    Langsam richtete er sich wieder auf. Geh nicht, dachte sie und sah hilflos zu ihm auf. Sein Finger glitt unter ihr Kinn.
    »Kann ich dich jetzt allein lassen? Nur ganz kurz?«
    »Ja«, hauchte sie. Als er sie losließ und sich dem Ausgang zuwandte, fragte sie:
    »Willst du denn so vor deinem König erscheinen?«
    »Er darf mir ruhig ansehen, was ich hinter mir habe.« Fast stieß er mit dem Sklaven zusammen, der zwei Eimer heranschleppte. Erschrocken versuchte der Mann sich zu verneigen, doch Anschar schob ihn beiseite, ohne ihn zu beachten. Weitere Sklaven folgten und verschwanden mit ihren Wassereimern in einem Nebenraum. Grazia wunderte sich, dass der Ausgang keine Tür besaß, nicht einmal einen Vorhang. Jeder konnte hier ein und aus gehen. War das hier so üblich? Sie glaubte draußen auf den Korridoren viele Türen gesehen zu haben. Warum war das bei Anschars Wohnung anders?
    Sie fing an zu dösen. Es dauerte sicherlich eine halbe Stunde, bis die Sklaven fertig waren und verschwanden, bis auf einen, der sich vor ihr verneigte. »Es liegt alles bereit. Soll ich nach einer Sklavin schicken, die dir beim Baden hilft?«,
fragte er ehrerbietig und fast tonlos, den Blick zu Boden geheftet.
    »Danke, aber das ist nicht nötig.« Grazia rieb sich die Augen. Gern hätte sie ihm ein Geldstück gegeben, aber sie hatte keines, und wahrscheinlich durfte er es gar nicht nehmen.
    »Darf ich gehen?«
    »Natürlich.«
    Erneut verneigte er sich und verließ die Wohnung. Mit ihrer Tasche unter dem Arm ging sie ins Bad. Dazu musste sie einige breite Stufen hinabsteigen, die in einem gefliesten und mit Wasser gefüllten Raum endeten. Einen Beckenrand gab es nicht. Die Toilettenartikel lagen auf der letzten Stufe, die aus dem Wasser ragte.
    So hatte sie sich das nicht vorgestellt. Sie hatte gehofft, wenigstens das Bad ließe sich verschließen. Hier kannte man offenbar, wie in vielen antiken Kulturen, keine Schlösser, aber dass man sogar mit Türen geizte, war ärgerlich. Wie sollte sie hier baden, wenn jederzeit irgendwelche Leute hereinkommen konnten?
    Sie machte kehrt. Der eigentliche Wohnbereich war durchaus mit einem Salon vergleichbar – großzügig, mit einer offenen, von Pfeilern gestützten Seite, die auf die Terrasse hinausführte. Weinranken waren auf die Pfeiler gemalt, und in den Zwischenräumen hingen Grasmatten, die sich herabrollen ließen. Am anderen Ende des Salons öffnete sich ein Durchgang zu einem zweiten, kleineren Raum, in dem ein ziemlich ausladendes Bett stand. Sonst gab es nur wenige Möbel: gemauerte Bänke an den Wänden, ein Tisch und ein paar Truhen. Sie würden verloren wirken, wären die Wände nicht über und über mit Fresken verziert. Grazia öffnete die Truhen und fand eine Decke, doch nichts an den Türrahmen, woran sie sich befestigen ließe. Lediglich der Wohnungseingang wies Zapfen auf.

    Sie steckte den Kopf hinaus auf den Korridor, an dessen Ende der Sklave auf einem Hocker saß. Er sprang sofort auf und eilte zu ihr.
    »Herrin?«
    »Ich glaube, ich brauche doch zwei Frauen, äh … Sklavinnen«, murmelte sie verlegen.
    »Ja. Ich hole sie.« Schon war er in demselben Treppenschacht verschwunden, über den Anschar sie hinaufgetragen hatte. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie die eiligen Schritte der Sklavinnen hörte. Mit gesenkten Köpfen kamen sie herangelaufen und verneigten sich.
    Grazia ging zum Bad, hob die Decke auf und breitete sie aus. »Wärt ihr so freundlich, mit der Decke den Eingang zuzuhalten, während ich bade?«
    Die Frauen zeigten sich angesichts ihres fremdartigen Äußeren verwundert. Vielleicht auch wegen ihres höflichen Tonfalls. »Natürlich, Herrin.«
    »Ihr müsst sie aber ganz hochhalten. Und nicht schauen.«
    »Ja, Herrin.«
    »Danke.«
    Grazia schüttelte innerlich den Kopf, während sie sich ins Bad begab und darauf achtete, dass der Eingang sorgfältig verhängt war. Als sie vor ein paar Jahren Onkel Toms Hütte gelesen hatte, wäre ihr nie in den Sinn gekommen, selbst je mit Sklaven zu tun zu haben. In Deutsch-Ostafrika, so hatte Tante Charlotte in ihren Briefen erzählt, war die Sklaverei zwar erst vor wenigen Jahren

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