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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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So ein Unfug. Es gibt keine Nihayen mehr, und selbst wenn, wo sollte er sie herhaben?«

    »Es sind nur Gerüchte. Niemand hat sie bisher zu Gesicht bekommen. Manche behaupten, sie lebe schon seit Jahren dort, aber das dürfte Unsinn sein. Andere sagen, sie habe seinen Suchtrupp begleitet.«
    »Das ist auch Unsinn. Schelgiur, ich traf ja auf seine Männer. Denen erging es nicht besser als uns, außer dass ein paar mehr überlebt haben, und unter ihnen war keine Halbgöttin. Nicht dass ich eine erkennen würde, wenn ich sie sähe, aber da war keine Frau. Selbst wenn es so wäre – was hätte Mallayur von ihr? Was vermag sie zu tun?«
    Der Wirt hob die Schultern. »Ich bin weder ein Priester, der so etwas wissen könnte, noch ein Dummkopf, der es wissen wollte. Mit göttlichen Kräften legt man sich nicht an.«
    Grazia räusperte sich unbehaglich.
    »Was ist?«, fragte Anschar.
    »Nichts, gar nichts.« Sie verschränkte die Arme, damit er nicht weiterfragte.
    »Ist dir kalt hier drinnen?« Prüfend zog er eine ihrer Hände an sich und umfasste ihre Finger. Überall an ihrem Körper schienen sich die Härchen aufzurichten.
    »Nein, nein«, stotterte sie. »Eine gesunde Haut friert nicht, sagt meine Mutter immer.« Was redete sie da für dummes Zeug? Tief senkte sie ihren sicherlich tomatenroten Kopf.
    Er nahm sich Zeit, um sich davon zu überzeugen, dass ihre Finger nicht klamm waren. Schlaff ruhte ihre Hand in seiner. Sie genoss es, und als Rufe aus dem Schankraum ihn ablenkten, bedauerte sie es.
    »Was ist denn da los?« Schelgiur stemmte sich hoch und stapfte aus der Höhle. Es hörte sich an, als wären ein paar Gäste aneinandergeraten. Der Wirt brüllte dazwischen; es krachte, als sei Holz gesplittert, und dann gellte ein Entsetzensschrei. Anschar zog Grazia auf die Füße und folgte ihm. Als sie am Höhleneingang angelangten, sah sie einen Mann
am Boden sitzen, der sich das Blut aus der Nase schnäuzte. Einen anderen hatte Schelgiur am Schlafittchen gepackt und beförderte ihn soeben durch die offene Tür.
    »O Gott, sieh nur.« Grazia klopfte auf Anschars Schulter. »Er wirft ihn in die Tiefe!«
    »Ach was.«
    Der Raufbold versuchte sich am Treppenseil festzuhalten, fiel auf den Hosenboden und rutschte, wie es schien, mehrere Stufen hinunter. Es genügte, die Hütte erzittern zu lassen. Schelgiur schlug die Tür zu, was die Wände ein zweites Mal schwanken ließ, und wischte sich die Handflächen an seinem Kittel ab.
    »Anschar? Wo waren wir stehen geblieben? Was machst du jetzt, da du wieder daheim bist?«
    Anschar half Grazia die Stufe in den Schankraum hinunter und ging zur Tür. »Was schon? Nachher muss ich vor Madyur-Meya treten und Bericht erstatten. Das wird kein Vergnügen werden. Jetzt aber freue ich mich erst einmal auf ein Bad und mein Bett. Wahrscheinlich kann ich so weich gar nicht mehr schlafen.«
    Das geht mir womöglich auch so, dachte Grazia und fragte sich, wo sie die nächste Nacht verbringen würde. Doch das vergaß sie sofort, als Anschar die Außentür öffnete. Ihr Magen krampfte sich bei dem Gedanken an den Rest des Aufstiegs zusammen. Ein Windstoß fegte ihr die Kapuze vom Kopf. Sofort zog er sie wieder hoch.
    »Meine Güte«, murmelte Schelgiur kopfschüttelnd. »Meine Güte! Brennende Haare! Du solltest dringend bei Fergo mit ihr vorstellig werden.«
    Grazia hatte genug von dieser Kaschemme und stieg hinaus auf die wacklige Treppe. Lieber wollte sie hier draußen herumklettern, als sich länger solches Geschwätz anzuhören. Sie klammerte sich an das Seil, das als Handlauf diente, und
tastete sich Stufe um Stufe hinauf. Es beruhigte sie nicht, dass sich Anschar hinter ihr befand und sie notfalls festhalten würde. Ein Mann lief an ihr vorbei, so leichtfüßig, als befände er sich dicht über dem Erdboden. Die Holzbretter bebten unter seinen Schritten. Jeden Augenblick würden sie einbrechen.
    »Das ist keine schwebende Stadt«, beklagte sie sich bei Anschar, als sie einigermaßen sicher war, für dieses Mal mit dem Leben davongekommen zu sein. »Das ist eine einstürzende Stadt! Ich kann nicht mehr.«
    »Du musst.«
    »Ich kann nicht!«
    »Willst du, dass ich dich trage? Ich kann auch veranlassen, dass dich ein paar kräftige Kerle an einem Seil hinaufziehen.«
    »O Gott«, murmelte Grazia. Meinte er das ernst? Sie wollte es nicht ausprobieren, also riss sie sich zusammen und kletterte mit zittrigen Knien weiter.

    »Vielleicht solltest du nicht an die Brüstung gehen«, sagte

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