Das gläserne Tor
Bücher aussehen! Was das auch ist, es sieht immerhin danach aus, als ob es gut brennen würde.« Egnasch stapfte zum Herd.
»Das wagst du nicht!«, schrie Anschar ihm hinterher.
Egnasch stellte sich so, dass der Herd zwischen ihnen war. »Reiß dich zusammen, Sklave! Du bist keiner der Zehn mehr. Dein neuer Herr sollte deine Tätowierung ausbrennen lassen, damit das auch in deinen Schädel geht.«
»Ich bin es immer noch und habe kein Problem damit, dir sämtliche Zähne auszuschlagen, wenn du das Buch nicht weglegst.« Anschar ging mit drohend geballten Fäusten auf ihn zu. Sofort schüttelte Egnasch die Peitsche aus, während er das Buch über das Feuer hielt.
»Was soll das?« Die Stimme des Herrn von Hersched hallte durch den Schlafraum. »Hört auf mit diesem Unsinn!«
Mallayur stand in der Tür, hinter sich den jungen Wedelträger. Auf seinen Wink hin trat Egnasch vom Herd weg und machte eine tiefe Verbeugung.
»Irgendwie hatte ich das Gefühl, gleich überprüfen zu müssen, wie du dich benimmst«, sagte Mallayur zu Anschar, jetzt wesentlich weniger freundlich als eben noch. »Und
tatsächlich, schon gibt es Ärger. Worum balgt ihr euch wie Gassenjungen?«
Egnasch brachte ihm mit einem weiteren Bückling das Buch. Der König von Hersched nahm es an sich und betrachtete es, doch auf den Gedanken, dass man es aufschlagen könne, kam er nicht.
»Habe ich das nicht eben in deiner Hand gesehen?«, fragte er Anschar. »Gehört dir das?«
»Ja. Es ist alles, was ich noch habe.«
Verächtlich zog Mallayur die Mundwinkel herunter und händigte es ihm aus. »Du darfst dir noch ein paar Kleinigkeiten aus deinem alten Besitz bringen lassen. Ansonsten bekommst du hier alles, was du brauchst. Einen Schlafplatz, zu essen, Kleidung. Ich weiß, mein Bruder war dir gegenüber sehr großzügig, aber du kannst schließlich nicht erwarten, dass ich mich verpflichtet fühle, das fortzuführen.«
»Ich habe mich auch nicht darüber beklagt.«
»Nun, dann sind wir uns ja einig. Du bekommst zu gegebener Zeit natürlich auch Waffen, denn was hätte mir diese Wette gebracht, wenn du hier nutzlos herumstehst? Aber damit lassen wir uns Zeit, nicht wahr? Ich möchte erst sicher sein, dass in deinem Kopf angekommen ist, wem du jetzt dienst. Egnasch, lass uns allein.«
Der Aufseher ging, nicht ohne Anschar einen bösen Blick zuzuwerfen. Mallayur legte eine Hand auf die Schulter seines Fächerträgers und schob ihn ein Stück vorwärts. Es war ein hochgeschossener Junge mit der üblichen dunklen Wüstenhaut und einem leeren Blick.
»Wie viele Wüstenmenschen hast du schon getötet, Anschar?«, fragte Mallayur.
»Einige. Ich habe sie nicht gezählt.«
»Und hattest du immer einen Grund, sie zu töten?«
»Das kann ich jetzt nicht mehr mit Bestimmtheit sagen,
aber davon gehe ich aus.« Wohin mochte das Gespräch führen? Anschar wurde noch unbehaglicher zumute, als ihm ohnehin schon war.
»Würdest du sagen, dass ein Befehl deines Herrn ein Grund ist?«
»Natürlich.«
»Und wenn ich dir nun befehle, den hier zu töten? Jetzt?«
Das Leben kehrte in die Augen des Jungen zurück; er begann zu zittern, rührte sich aber nicht. Anschar spürte die altbekannte Abscheu gegen diese Menschen, aber stärker noch war die gegen seinen neuen Herrn.
»Sag schon«, drängte Mallayur. »Eben hast du mir beigepflichtet.«
Anschar fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen. Natürlich würde er einen solchen Befehl ausführen. Als Leibwächter des Meya hatte er mehr als einmal einem aufständischen Sklaven die Klinge ins Herz gestoßen. Aber das hier war etwas ganz anderes. »Man tötet Sklaven nicht einfach so«, versuchte er einzuwenden. »So billig sind sie nun auch wieder nicht.«
»Ja, ja, das stimmt schon. Aber das soll nicht deine Sorge sein. Also?«
Anschar bedeutete der Junge nichts. Er versuchte sich vorzustellen, wie er eine Klinge in diesen wehrlosen, vor Furcht bebenden Körper hineinrammte. Versuchte sich daran zu erinnern, dass es nur eine kleine Wüstenratte war. Tränen perlten über das glatte Gesicht, und er glaubte zu erkennen, dass der Junge sich wünschte, sie abzuwischen, es aber nicht wagte, sich zu bewegen.
»Du kannst das nicht ernsthaft verlangen, Herr. Madyur hätte nie …«
»Madyur!«, herrschte Mallayur ihn an. »Du bist jetzt hier. Vergiss Madyur! Er war viel zu nachsichtig mit dir.« Schwer atmete er aus, strich sich über die Stirn und nickte. »Gut, ich
erkläre es dir anders, vielleicht bist du nur
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