Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
seine flackernde Artistenleidenschaft besitzen, sondern die Mehrzahl von ihnen würde nur seine Unzuverlässigkeit, seinen Hang zur Verspieltheit, seinen Mangel an Zucht und Gemeinsinn haben. In sorgenvollen Stunden mag Knecht solche düstern Visionen und Vorahnungen gehabt haben, deren Bewälti
gung teils durch Versenkung, teils durch erhöhte Tätigkeit ihn gewiß viel Kraft gekostet hat.
Gerade der Fall Tegularius zeigt uns auch ein besonders schönes und lehrreiches Beispiel für die Art, wie Knecht das ihm begegnende Problematische, Schwierige und Krankhafte, ohne ihm auszuweichen, zu bewältigen bemüht war. Ohne seine Wachsamkeit, Fürsorge und erzieherische Leitung wäre nicht nur sein gefährdeter Freund wahrscheinlich früh zugrunde gegangen, es wäre außerdem ohne Zweifel durch ihn zu endlosen Störungen und Unzuträglichkeiten in der Spielersiedlung gekommen, an welchen es schon seit dessen Zugehörigkeit zur Spielerelite keineswegs gefehlt hatte. Die Kunst, mit welcher der Magister nicht nur seinen Freund leidlich im Geleise zu halten, sondern auch seine Gaben im Dienst des Glasperlenspiels zu verwenden und zu edlen Leistungen zu steigern wußte, die Behutsamkeit und Geduld, mit welcher er dessen Launen und Wunderlichkeiten ertrug und mit dem unermüdlichen Appell an das Wertvolle in seinem Wesen überwand, müssen wir als ein Meisterstück der Menschenbehandlung bewundern. Es wäre übrigens eine schöne und vielleicht zu überraschenden Einsichten führende Aufgabe – und wir möchten sie einem unsrer Historiker des Glasperlenspiels ernstlich ans Herz legen –, einmal die Jahresspiele der Amtszeit Knechts in ihrer stilistischen Eigenheit genau zu studieren und ihre Ana
lyse zu geben, diese würdevollen und dabei von köstlichen Einfällen und Formulierungen funkelnden, diese glänzenden, rhythmisch so originellen und doch allem selbstgefälligen Virtuosentum so fernen Spiele, deren Grundplan und Aufbau ebenso wie die Führung der Meditationsfolge ausschließlich Knechts geistiges Eigentum war, während die Ziselierung und spieltechnische Kleinarbeit größtenteils von seinem Mitarbeiter Tegularius stammte. Diese Spiele könnten verlorengegangen und vergessen sein, ohne daß das Leben und die Tätigkeit Knechts darum für die Nachlebenden allzuviel von ihrer Anziehungs- und Beispielkraft verlieren würde. Sie sind jedoch nicht verloren, zu unsrem Glück, sie sind aufgezeichnet und aufbewahrt wie alle offiziellen Spiele, und sie liegen nicht nur tot im Archiv, sondern leben noch heute in der Überlieferung fort, werden von jungen Studenten studiert, liefern beliebte Beispiele für manchen Spielkurs und manches Seminar. Und in ihnen lebt auch jener Mitarbeiter fort, der sonst vergessen wäre oder doch nichts wäre als eine seltsame, in manchen Anekdoten noch spukhaft umgehende Figur der Vergangenheit. So hat Knecht, indem er seinem so schwer einzureihenden Freunde Fritz dennoch einen Platz und ein Wirkungsfeld anzuweisen verstand, das Geistesgut und die Geschichte Waldzells um etwas Wertvolles bereichert und hat zugleich der Gestalt und dem Andenken dieses Freundes eine
gewisse Dauer gesichert. Wir erinnern nebenbei daran, daß bei seinen Bemühungen um den Freund der große Erzieher sich des wichtigsten Mittels solcher erzieherischen Beeinflussung durchaus bewußt war. Dies Mittel war des Freundes Liebe und Bewunderung. Diese Bewunderung und Liebe, diese Schwärmerei für Knechts starke und harmonische Persönlichkeit, für sein Herrentum, hat der Magister bei Fritz nicht nur, sondern noch bei vielen seiner Mitstrebenden und Schüler recht wohl gekannt und hat stets mehr auf ihr als auf seiner hohen Amtswürde die Autorität und Macht aufgebaut, die er trotz seines gütigen und konzilianten Wesens auf so viele ausgeübt hat. Er fühlte genau, was ein freundliches Wort der Ansprache oder der Anerkennung, und was ein Sichentziehen, ein Nichtbeachten wirken könne. Einer seiner eifrigsten Schüler hat viel später einmal erzählt, Knecht habe einst eine Woche lang im Kurs und im Seminar kein Wort mit ihm gesprochen, ihn scheinbar nicht gesehen, ihn als Luft behandelt, und das sei in allen den Jahren seiner Schülerschaft die bitterste und wirksamste Strafe gewesen, die er erlebt habe.
Wir haben diese Betrachtungen und Rückblicke für notwendig gehalten, um den Leser unsres biographischen Versuchs an dieser Stelle zum Verständnis der beiden polar wirkenden Grundtendenzen in Knechts Persönlichkeit
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