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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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zu führen und ihn, nachdem
er unsrer Beschreibung bis auf dessen Lebenshöhe gefolgt ist, auf die letzten Phasen dieses reichen Lebenslaufes vorzubereiten. Die beiden Grundtendenzen oder Pole dieses Lebens, sein Yin und Yang, waren die Tendenz zum Bewahren, zur Treue, zum selbstlosen Dienst an der Hierarchie, und andrerseits die Tendenz zum »Erwachen«, zum Vordringen, zum Greifen und Begreifen der Wirklichkeit. Für den gläubigen und dienstbereiten Josef Knecht war der Orden, war Kastalien und das Glasperlenspiel etwas Heiliges und unbedingt Wertvolles; für den erwachenden, hellsichtigen, vorwärtsdringenden waren sie, ihres Wertes ungeachtet, gewordene, erkämpfte, in ihren Lebensformen wandelbare, der Gefahr der Alterung, des Sterilwerdens und Verfalls ausgesetzte Gestaltungen, deren Idee ihm stets unantastbar heilig blieb, deren jeweilige Zustände er jedoch als vergänglich und der Kritik bedürftig erkannt hatte. Er diente einer geistigen Gemeinschaft, deren Kraft und Sinn er bewunderte, deren Gefahr aber er in ihrer Neigung sah, sich als reinen Selbstzweck zu betrachten, ihrer Aufgabe und Mitarbeit am Ganzen des Landes und der Welt zu vergessen und schließlich in einer glänzenden, aber mehr und mehr zur Unfruchtbarkeit verurteilten Abspaltung vom Ganzen des Lebens zu verkommen. Diese Gefahr hatte er in jenen frühen Jahren vorgeahnt, da er immer wieder gezögert und davor gebangt hatte, sich ganz dem
Glasperlenspiel zu verschreiben, sie war ihm in den Diskussionen mit den Mönchen und namentlich mit dem Pater Jakobus, so tapfer er Kastalien gegen sie verteidigte, immer eindringlicher zum Bewußtsein gekommen und, seit er wieder in Waldzell lebte und Magister Ludi geworden war, beständig in handgreiflichen Symptomen bemerkbar geworden, in der treuen, aber weltabgewandten und rein formalen Arbeitsweise vieler Amtsstellen und seiner eigenen Beamten, in dem geistreichen, aber hochmütigen Spezialistentum seiner Waldzeller Repetentenschaft und nicht zuletzt in der ebenso rührenden wie erschreckenden Gestalt seines Tegularius. Nach Absolvierung seines schweren ersten Amtsjahres, dem er nichts an Zeit und Privatleben abzugewinnen vermochte, kehrte er nun auch zu geschichtlichen Studien zurück, er versenkte sich zum ersten Male offenen Auges in die Geschichte Kastaliens und gewann dabei die Überzeugung, daß es mit ihm nicht so stehe, wie das Selbstbewußtsein der Provinz meinte, daß namentlich ihre Beziehungen zur Außenwelt, die Wechselwirkung zwischen ihr und dem Leben, der Politik, der Bildung des Landes seit Jahrzehnten im Rückgang begriffen seien. Zwar sprach die Erziehungsbehörde in Angelegenheiten des Schul- und Bildungswesens noch ihr Wort im Bundesrat mit, zwar versorgte die Provinz das Land noch immer mit guten Lehrern und übte in allen Fragen der Gelehrsamkeit
ihre Autorität; doch hatte dies alles den Charakter der Gewohnheit und des Mechanismus angenommen. Seltener und weniger eifrig meldeten sich junge Männer aus den verschiedenen Eliten Kastaliens freiwillig zum Schuldienst extra muros, selten mehr wandten sich Behörden und einzelne im Lande ratsuchend an Kastalien, dessen Stimme in früheren Zeiten zum Beispiel auch bei wichtigen Gerichtsverhandlungen gern zugezogen und gehört worden war. Verglich man das Bildungsniveau Kastaliens mit dem des Landes, so sah man, daß sie keineswegs sich einander näherten, vielmehr in fataler Weise auseinanderstrebten: je gepflegter, differenzierter, überzüchteter die kastalische Geistigkeit wurde, desto mehr neigte die Welt dazu, die Provinz Provinz sein zu lassen und sie, statt als eine Notwendigkeit und ein tägliches Brot, als einen Fremdkörper zu betrachten, auf den man zwar ein wenig stolz war wie auf eine altertümliche Kostbarkeit, den man vorläufig auch gar nicht hätte weggeben und entbehren mögen, von dem man sich aber gern in Distanz hielt und dem man, ohne genau Bescheid zu wissen, eine Mentalität, eine Moral und ein Selbstgefühl zutraute, welche ins wirkliche und tätige Leben nicht recht mehr paßten. Das Interesse der Mitbürger für das Leben der pädagogischen Provinz, ihre Teilnahme an deren Einrichtungen und namentlich auch am Glasperlenspiel, war ebenso im Rückgang begriffen wie die Teilnah
me der Kastalier am Leben und Schicksal des Landes. Daß hier der Fehler liege, war ihm längst klargeworden, und daß er als Glasperlenspielmeister in seinem Spielerdorf es ausschließlich mit Kastaliern und Spezialisten zu tun hatte,

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