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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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vielleicht gerade an unsrer Heiterkeit etwas gelegen. Wenn ich nun aber deine Traurigkeit und Schwere nicht mitmachen und mich von ihr nicht anstecken lassen darf, so bedeutet das nicht, daß ich sie nicht gelten lasse und ernst nehme. Die Miene, die du trägst und die dein Leben und Schicksal in der Welt dir aufgedrückt hat, wird von mir vollkommen anerkannt, sie kommt dir zu und gehört zu dir und ist mir lieb und achtbar, obschon ich hoffe, sie sich noch ändern zu sehen. Woher sie kommt, kann ich nur ahnen, du wirst mir später davon soviel sagen oder verschweigen, als dir richtig erscheint. Sehen kann ich nur, daß du ein
schweres Leben zu haben scheinst. Warum aber glaubst du, daß ich dir und deinem Schweren nicht gerecht werden wolle und könne?«
    Designoris Gesicht war wieder düster geworden. »Manchmal«, sagte er resigniert, »kommt es mir so vor, als hätten wir nicht nur zwei verschiedene Ausdrucksweisen und Sprachen, von welchen jede sich nur andeutungsweise in die andre übersetzen läßt, nein, als seien wir überhaupt und grundsätzlich verschiedene Wesen, die einander niemals verstehen können. Und wer von uns eigentlich der echte und vollwertige Mensch sei, ihr oder wir, oder ob überhaupt einer von uns es sei, scheint mir immer wieder zweifelhaft. Es gab Zeiten, da habe ich zu euch Ordensleuten und Glasperlenspielern emporgeblickt mit einer Verehrung, einem Minderwertigkeitsgefühl und einem Neid wie zu ewig heiteren, ewig spielenden und ihr eigenes Dasein genießenden, keinem Leid erreichbaren Göttern oder Übermenschen. Zu andern Zeiten seid ihr mir bald beneidenswert, bald bemitleidenswert, bald verächtlich erschienen, Kastrierte, künstlich in einer ewigen Kindheit Zurückgehaltene, kindlich und kindisch in eurer leidenschaftslosen, sauber umzäunten, wohlaufgeräumten Spiel- und Kindergartenwelt, wo sorgfältig jede Nase geputzt und jede unbekömmliche Gefühls- oder Gedankenregung beschwichtigt und unterdrückt wird, wo man lebenslänglich artige, ungefährliche, unblu
tige Spiele spielt und jede störende Lebensregung, jedes große Gefühl, jede echte Leidenschaft, jede Herzenswallung sofort durch meditative Therapie kontrolliert, abbiegt und neutralisiert. Ist es nicht eine künstliche, sterilisierte, schulmeisterlich beschnittene Welt, eine Halb- und Scheinwelt bloß, in der ihr da feige vegetiert, eine Welt ohne Laster, ohne Leidenschaften, ohne Hunger, ohne Saft und ohne Salz, eine Welt ohne Familie, ohne Mütter, ohne Kinder, ja beinahe ohne Frauen! Das Triebleben ist meditativ gebändigt, gefährliche, waghalsige und schwer zu verantwortende Dinge, wie Wirtschaft, Rechtspflege, Politik, hat man seit Generationen andern überlassen, feig und wohlgeschützt, ohne Nahrungssorgen und ohne viel lästige Pflichten führt man sein Drohnenleben und gibt sich, damit es nicht langweilig werde, eifrig mit allen diesen gelehrten Spezialitäten ab, zählt Silben und Buchstaben, musiziert und spielt das Glasperlenspiel, während draußen im Schmutz der Welt arme gehetzte Menschen das wirkliche Leben leben und die wirkliche Arbeit tun.«
    Mit unermüdeter, freundlicher Aufmerksamkeit hatte Knecht ihn angehört.
    »Lieber Freund«, sagte er bedächtig, »wie sehr haben deine Worte mich an unsre Schülerzeit und an deine damalige Kritik und Angriffslust erinnert! Nur daß ich heute nicht mehr dieselbe Rolle habe wie damals; meine Aufgabe ist heute nicht die Verteidigung
des Ordens und der Provinz gegen deine Angriffe, und es ist mir recht lieb, daß diese schwierige Aufgabe, an der ich mich schon einmal überanstrengt habe, mich diesmal nichts angeht. Gerade auf solche prachtvolle Attacken, wie du eben wieder eine geritten hast, ist es nämlich etwas schwer zu antworten. Du redest da zum Beispiel von Leuten, welche da draußen im Lande ›das wirkliche Leben leben und die wirkliche Arbeit tun‹. Das klingt so absolut und schön und treuherzig, beinahe schon wie ein Axiom, und wenn jemand dagegen ankämpfen wollte, so müßte er geradezu unartig werden und den Redner daran erinnern, daß doch dessen eigene ›wirkliche Arbeit‹ zum Teil darin bestehe, in einer Kommission zum Wohle und zur Erhaltung Kastaliens mitzuwirken. Aber lassen wir für einen Augenblick das Spaßen! Ich sehe aus deinen Worten und höre es aus ihrem Ton, daß du noch immer das Herz voll Haß gegen uns hast, und doch zugleich voll verzweifelter Liebe zu uns, voll Neid oder Sehnsucht. Wir sind für dich Feiglinge, Drohnen

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