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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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den Glasperlenspielmeister während jener Zeit, da dieser täglich Gegenstand seiner Sorge und gewissermaßen sein Beichtkind gewesen war, nahe genug in seinem persönlichen Wesen und Gehaben beobachten und kennenlernen können, um ihn zu lieben. Die bis dahin latent gebliebene Freundschaft wurde beiden bewußt und fand ihre Gestalt von dem Augenblick an, da Alexander Knechts Kollege und Präsident der Behörde wurde, denn nun sahen sie sich des öftern wieder und hatten gemeinsame Arbeit zu tun. Freilich fehlte es dieser Freundschaft an All
tag, wie es ihr auch an gemeinsamen Jugenderlebnissen fehlte, es war eine kollegiale Sympathie unter Hochgestellten, und ihre Äußerungen beschränkten sich auf ein kleines Mehr an Wärme bei Begrüßung und Abschied, ein lückenloseres und rascheres gegenseitiges Verstehen, etwa noch auf ein minutenlanges Plaudern in Sitzungspausen.
    War auch verfassungsmäßig der Vorsteher der Ordensleitung, auch Ordensmeister genannt, seinen Kollegen, den Magistern, nicht übergeordnet, so war er es doch durch die Tradition, nach welcher der Ordensmeister den Sitzungen der obersten Behörde präsidierte, und je meditativer und mönchischer der Orden in den letzten Jahrzehnten geworden war, desto mehr war seine Autorität gewachsen, freilich nur innerhalb der Hierarchie und Provinz, nicht außerhalb. Es waren in der Erziehungsbehörde mehr und mehr der Ordensvorsteher und der Glasperlenspielmeister die beiden eigentlichen Exponenten und Repräsentanten des kastalischen Geistes geworden; gegenüber den uralten, aus vorkastalischen Epochen überkommenen Disziplinen, wie Grammatik, Astronomie, Mathematik oder Musik, waren meditative Geisteszucht und Glasperlenspiel ja auch die für Kastalien eigentlich charakteristischen Güter. So war es nicht ohne Bedeutung, wenn ihre beiden derzeitigen Vertreter und Leiter in einem freundschaftlichen Verhältnis zueinander standen, es war für beide eine Be
stätigung und Erhöhung ihrer Würde, eine Zugabe an Wärme und Zufriedenheit im Leben, ein Ansporn mehr zur Erfüllung ihrer Aufgabe: in ihren Personen die beiden innersten, die sakralen Güter und Kräfte der kastalischen Welt darzustellen und vorzuleben. Für Knecht also bedeutete das eine Bindung mehr, ein Gegengewicht mehr gegen die in ihm großgewordene Tendenz zum Verzicht auf dies alles und zum Durchbruch in eine andre, neue Lebenssphäre. Dennoch entwickelte diese Tendenz sich unaufhaltsam weiter. Seit sie ihm selbst völlig bewußt geworden war, dies mag etwa im sechsten oder siebenten Jahr seines Magistrates gewesen sein, hatte sie sich erkräftigt und war von ihm, dem Mann des »Erwachens«, ohne Scheu in sein bewußtes Leben und Denken aufgenommen worden. Seit jener Zeit etwa, glauben wir sagen zu dürfen, war der Gedanke an den kommenden Abschied von seinem Amte und von der Provinz ihm vertraut – manchmal in der Art, wie einem Gefangenen der Glaube an Befreiung es ist, manchmal auch so, wie einem Schwerkranken das Wissen um den Tod es sein mag. In jener ersten Aussprache mit dem wiedergekehrten Jugendkameraden Plinio hatte er ihm zum erstenmal Ausdruck in Worten gegeben, möglicherweise nur um den schweigsam und verschlossen gewordenen Freund zu gewinnen und aufzuschließen, vielleicht aber auch, um mit dieser ersten Mitteilung an einen andern seinem neuen Erwa
chen, seiner neuen Lebensstimmung einen Mitwisser, eine erste Wendung nach außen, einen ersten Anstoß zur Verwirklichung zu geben. In den weiteren Gesprächen mit Designori nahm Knechts Wunsch, irgendeinmal seine jetzige Lebensform abzulegen und den Sprung in eine neue zu wagen, schon den Rang eines Entschlusses ein. Inzwischen baute er die Freundschaft mit Plinio, der nun nicht mehr nur durch Bewunderung, sondern ebensosehr durch die Dankbarkeit des Genesenden und Geheilten an ihn gebunden war, sorgfältig aus und besaß in ihr eine Brücke zur Außenwelt und ihrem mit Rätseln beladenen Leben.
    Daß der Magister seinem Freunde Tegularius erst sehr spät Einblick in sein Geheimnis und seinen Plan eines Ausbruches gegönnt hat, darf uns nicht wundern. So wohlwollend und fördernd er jede seiner Freundschaften gestaltet hat, so selbständig und diplomatisch hat er sie doch zu überblicken und zu leiten gewußt. Nun war mit dem Wiedereintritt von Plinio in sein Leben für Fritz ein Nebenbuhler auf den Plan getreten, ein neu-alter Freund mit Ansprüchen an Knechts Interesse und Herz, und dieser konnte wohl kaum darüber erstaunt

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