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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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auf wieder eine Geistigkeit, einen Unterricht, eine Forschung, eine Bildung aufzubauen. Der Bau ist gelungen, er ist aus seinen ärmlich-heldischen Anfängen langsam zu einem Prachtbau gewachsen, hat in einer Reihe von Generationen den Orden, die Erziehungsbehörde, die Eliteschulen, die Archive und Sammlungen, die Fachschulen und Seminare, das Glasperlenspiel geschaffen, und wir sind es, die heute als Erben und Nutznießer in dem beinahe allzu prachtvollen Gebäude wohnen. Und, es sei nochmals gesagt, wir wohnen darin als ziemlich ahnungslose und ziemlich bequem gewordene Gäste, wir wollen nichts mehr wissen von den ungeheuren Menschenopfern, über welchen unsre Grundmauern errichtet sind, nichts von den leidvollen Erfahrungen, deren Erben wir sind, und nichts von der Weltgeschichte, welche unseren Bau errichtet oder geduldet hat, welche uns trägt und duldet und vielleicht noch manche Kastalier und Magister nach uns Heutigen, welche aber einmal unsern Bau wieder stürzen und verschlingen wird, wie sie alles wieder stürzt und verschlingt, was sie hat wachsen lassen.
    Ich kehre aus der Historie zurück, und das Ergebnis, die Anwendung auf heute und auf uns ist diese: unser System und Orden hat den Höhepunkt der Blüte und des Glückes, welche das rätselhafte Spiel des Weltgeschehens zuweilen dem Schönen und Wünschenswerten gestattet, schon überschritten. Wir sind im Niedergang, der sich vielleicht noch sehr lange hinziehen kann, aber in jedem Falle kann uns nichts Höheres, Schöneres und Wünschenswerteres mehr zufallen, als was wir schon besessen haben, der Weg führt abwärts; wir sind geschichtlich, glaube ich, reif zum Abbau, und er wird unzweifelhaft erfolgen, nicht heut und morgen, aber übermorgen. Ich schließe dies nicht etwa nur aus einer allzu moralischen Beurteilung unserer Leistungen und Fähigkeiten, ich schließe es noch weit mehr aus den Bewegungen, die ich in der Außenwelt sich vorbereiten sehe. Es nähern sich kritische Zeiten, überall spürt man die Vorzeichen, die Welt will wieder einmal ihren Schwerpunkt verlegen. Machtverschiebungen bereiten sich vor, sie werden nicht ohne Krieg und Gewalt sich vollziehen, eine Bedrohung des Friedens nicht nur, sondern auch des Lebens und der Freiheit droht vom fernen Osten her. Mag unser Land und seine Politik sich neutral halten, mag unser ganzes Volk einstimmig (was es jedoch nicht tut) beim Bisherigen verharren und uns und den kastalischen Idealen treu bleiben wollen, es wird vergeblich sein. Schon jetzt
sprechen manche unsrer Parlamentarier gelegentlich recht deutlich davon, daß Kastalien ein etwas teurer Luxus für unser Land sei. Sobald es zu ernstlichen kriegerischen Rüstungen, Rüstungen zur Abwehr nur, genötigt sein wird, und das kann bald geschehen, wird es zu großen Sparmaßnahmen kommen, und trotz aller Wohlgesinntheit der Regierung für uns wird ein großer Teil davon uns treffen. Wir sind stolz darauf, daß unser Orden und die Stetigkeit der geistigen Kultur, die er gewährleistet, vom Lande verhältnismäßig bescheidene Opfer verlangen. Im Vergleich mit andern Zeitaltern, namentlich der feuilletonistischen Frühzeit mit ihren üppig dotierten Hochschulen, ihren zahllosen Geheimräten und luxuriösen Instituten sind diese Opfer in der Tat nicht groß, und verschwindend klein sind sie verglichen mit denen, welche im kriegerischen Jahrhundert der Krieg und die Rüstung verschlang. Aber eben diese Rüstung wird vielleicht in Bälde wieder oberstes Gebot sein, im Parlament werden die Generäle wieder dominieren, und wenn das Volk vor die Wahl gestellt wird, Kastalien zu opfern oder sich der Gefahr von Krieg und Untergang auszusetzen, so wissen wir, wie es stimmen wird. Es wird alsdann auch ohne Zweifel sofort eine kriegerische Ideologie in Schwung kommen und namentlich die Jugend ergreifen, eine Schlagwort-Weltanschauung, nach welcher Gelehrte und Gelehrtentum, Latein und Mathematik, Bildung und
Geistespflege nur soweit als lebensberechtigt gelten, als sie kriegerischen Zwecken zu dienen vermögen.
    Die Woge ist schon unterwegs, einmal wird sie uns wegspülen. Vielleicht wird das gut und notwendig sein. Vorerst aber steht uns, sehr zu verehrende Kollegen, nach dem Maß unserer Einsicht in das Geschehen, nach dem Maß unseres Erwachtseins und unsrer Tapferkeit jene beschränkte Freiheit des Entschließens und Handelns zu, welche dem Menschen gegönnt ist und welche die Weltgeschichte zur Menschengeschichte macht. Wir können, wenn wir

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