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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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wollen, die Augen schließen, denn die Gefahr ist noch einigermaßen fern; vermutlich werden wir, die wir heute Magister sind, alle noch in Ruhe zu Ende amten und uns in Ruhe zum Sterben legen können, ehe die Gefahr nahe kommt und allen sichtbar wird. Für mich jedoch, und wohl nicht für mich allein, würde diese Ruhe nicht die des guten Gewissens sein. Ich möchte nicht in Ruhe weiter mein Amt verwalten und Glasperlenspiele spielen, zufrieden damit, daß das Kommende ja wohl mich nicht mehr am Leben treffen werde. Nein, sondern mir scheint es notwendig, mich zu erinnern, daß auch wir Unpolitischen der Weltgeschichte angehören und sie machen helfen. Darum sagte ich am Eingang meines Schreibens, daß meine Amtstüchtigkeit geschmälert oder doch bedroht sei, denn ich kann nicht hindern, daß ein großer Teil meiner Gedanken und Sorgen durch die
zukünftige Gefahr in Anspruch genommen ist. Ich versage es zwar meiner Phantasie, mit den Formen zu spielen, welche das Unheil für uns und mich etwa annehmen könnte. Aber ich kann mich der Frage nicht verschließen: was haben wir und was habe ich zu tun, um der Gefahr zu begegnen? Darüber sei mir noch ein Wort erlaubt.
    Den Anspruch Platons, daß der Gelehrte, vielmehr der Weise, im Staate zu herrschen habe, möchte ich nicht vertreten. Die Welt war damals jünger. Und Platon, obwohl der Stifter einer Art von Kastalien, ist keineswegs ein Kastalier gewesen, sondern ein geborener Aristokrat, von königlicher Herkunft. Auch wir sind zwar Aristokraten und bilden einen Adel, doch ist es einer des Geistes, nicht des Blutes. Ich glaube nicht daran, daß es den Menschen jemals gelingen werde, einen Blutadel zugleich mit dem geistigen Adel zu züchten, er wäre die ideale Aristokratie, sie bleibt aber ein Traum. Wir Kastalier sind, obwohl gesittete und ganz kluge Leute, zum Herrschen nicht geeignet; wir würden, wenn wir regieren müßten, es nicht mit der Kraft und Naivität tun, deren der echte Regent bedarf, auch würde dabei unser eigentliches Feld und unsre eigenste Sorge, die Pflege eines vorbildlichen geistigen Lebens, schnell vernachlässigt werden. Zum Herrschen braucht man keineswegs dumm und brutal zu sein, wie eitle Intellektuelle zuweilen meinten, wohl aber bedarf es zum Herrschen
einer ungebrochenen Freude an einer nach außen gewendeten Aktivität, einer Leidenschaft des sich Identifizierens mit Zielen und Zwecken, und gewiß auch einer gewissen Raschheit und Unbedenklichkeit in der Wahl der Wege zum Erfolg. Lauter Eigenschaften also, welche ein Gelehrter – denn Weise wollen wir uns nicht nennen – nicht haben darf und nicht hat, denn für uns ist Betrachtung wichtiger als Tat, und in der Wahl der Mittel und Methoden, um zu unsern Zielen zu gelangen, haben wir ja gelernt, so skrupulös und mißtrauisch wie nur möglich zu sein. Also wir haben nicht zu regieren und haben nicht Politik zu machen. Wir sind Fachleute des Untersuchens, Zerlegens und Messens, wir sind die Erhalter und beständigen Nachprüfer aller Alphabete, Einmaleinse und Methoden, wir sind die Eichmeister der geistigen Maße und Gewichte. Gewiß sind wir auch noch vieles andre, können unter Umständen auch Neuerer, Entdecker, Abenteurer, Eroberer und Umdeuter sein, unsre erste und wichtigste Funktion aber, derentwegen das Volk unser bedarf und uns erhält, ist jene Sauberhaltung aller Wissensquellen. Es kann im Handel, in der Politik und wo immer vielleicht gelegentlich eine Leistung und Genialität bedeuten, aus einem U ein X zu machen, bei uns aber niemals. In früheren Epochen verlangte man bei aufgeregten, sogenannten »großen« Zeiten, bei Krieg und Umsturz, gelegentlich von den Intellektuellen, sie sollten sich
politisieren. Namentlich im spätfeuilletonistischen Zeitalter war dies der Fall. Zu seinen Forderungen gehörte auch die nach der Politisierung oder Militarisierung des Geistes. So wie die Kirchenglocken zum Guß von Kanonenrohren, wie die noch unreife Schuljugend zum Nachfüllen der dezimierten Truppen, so sollte der Geist als Kriegsmittel beschlagnahmt und verbraucht werden.
    Natürlich können wir diese Forderung nicht anerkennen. Daß ein Gelehrter im Notfall vom Katheder oder Studiertisch weggeholt und zum Soldaten gemacht werde, auch daß er unter Umständen sich freiwillig dazu melde, daß ferner in einem vom Krieg ausgesogenen Lande der Gelehrte sich in allem Materiellen bis zum Äußersten und bis zum Hunger zu bescheiden habe, darüber ist kein Wort zu verlieren. Je

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