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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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höher die Bildung eines Menschen, je größer die Privilegien, die er genoß, desto größer sollen im Fall der Not die Opfer sein, die er bringt; wir hoffen, dies werde einst jedem Kastalier selbstverständlich sein. Wenn wir aber bereit sind, unser Wohlsein, unsre Bequemlichkeit, unser Leben dem Volk zu opfern, wenn es in Gefahr ist, so schließt das nicht mit ein, daß wir den Geist selbst, die Tradition und Moral unsrer Geistigkeit, den Interessen des Tages, des Volkes oder der Generäle zu opfern bereit wären. Ein Feigling, wer sich den Leistungen, Opfern und Gefahren entzieht, die sein Volk zu bestehen hat. Aber ein Feigling und
Verräter nicht minder, wer die Prinzipien des geistigen Lebens an materielle Interessen verrät, wer also z. B. die Entscheidung darüber, was zweimal zwei sei, den Machthabern zu überlassen bereit ist! Den Sinn für die Wahrheit, die intellektuelle Redlichkeit, die Treue gegen die Gesetze und Methoden des Geistes irgendeinem andern Interesse opfern, auch dem des Vaterlands, ist Verrat. Wenn im Kampf der Interessen und Schlagworte die Wahrheit in Gefahr kommt, ebenso entwertet, entstellt und vergewaltigt zu werden wie der Einzelmensch, wie die Sprache, wie die Künste, wie alles Organische und kunstvoll Hochgezüchtete, dann ist es unsre einzige Pflicht, zu widerstreben und die Wahrheit, das heißt das Streben nach Wahrheit, als unsern obersten Glaubenssatz zu retten. Der Gelehrte, der als Redner, als Autor, als Lehrer wissentlich das Falsche sagt, wissentlich Lügen und Fälschungen unterstützt, handelt nicht nur gegen organische Grundgesetze, er tut außerdem, jedem aktuellen Anschein zum Trotz, seinem Volke keinen Nutzen, sondern schweren Schaden, er verdirbt ihm Luft und Erde, Speise und Trank, er vergiftet das Denken und das Recht und hilft allem Bösen und Feindlichen, das dem Volke Vernichtung droht.
    Der Kastalier soll also nicht Politiker werden; er soll zwar im Notfall seine Person, niemals aber die Treue gegen den Geist opfern. Geist ist wohltätig und edel nur im Gehorsam gegen die Wahrheit; so
bald er sie verrät, sobald er die Ehrfurcht ablegt, käuflich und beliebig biegsam wird, ist er das Teuflische in Potenz, ist sehr viel schlimmer als die animalische, triebhafte Bestialität, welche immer noch etwas von der Unschuld der Natur behält.
    Ich überlasse es jedem von Ihnen, verehrte Kollegen, sich seine Gedanken darüber zu machen, worin die Pflichten des Ordens bestehen, wenn das Land und der Orden selbst gefährdet sind. Es wird da verschiedene Auffassungen geben. Auch ich habe die meinige, und im vielen Erwägen aller hier angeregten Fragen bin ich für meine Person zu einer klaren Vorstellung dessen gekommen, was für mich Pflicht und erstrebenswert sei. Dies nun führt mich zu einem persönlichen Gesuch an die verehrliche Behörde, mit welchem mein Memorandum schließen soll.
    Von den Magistern, aus welchen unsre Behörde besteht, stehe ich als Magister Ludi wohl meinem Amte nach der Außenwelt am fernsten. Der Mathematiker, der Philologe, der Physiker, der Pädagoge und alle anderen Magister arbeiten auf Gebieten, welche sie mit der profanen Welt gemein haben; auch in den nichtkastalischen, den gewöhnlichen Schulen unsres und jedes Landes bilden Mathematik und Sprachlehre die Grundlagen des Unterrichts, auch an den weltlichen Hochschulen wird Astronomie, Physik, auch von völlig Ungelehrten wird Musik getrieben; alle diese Disziplinen sind uralt, viel älter als unser Or
den, sie waren lange vor ihm da und werden ihn überleben. Einzig das Glasperlenspiel ist unsre eigene Erfindung, unsre Spezialität, unser Liebling, unser Spielzeug, es ist der letzte differenzierteste Ausdruck unsrer speziell kastalischen Art von Geistigkeit. Es ist zugleich das kostbarste und das unnützeste, das geliebteste und zugleich das zerbrechlichste Kleinod in unserem Schatz. Es ist das erste, das zugrunde gehen wird, wenn der Fortbestand von Kastalien in Frage gestellt wird; nicht nur, weil es in sich das gebrechlichste unserer Besitztümer ist, sondern auch schon, weil es für die Laien ohne Zweifel das entbehrlichste Stück von Kastalien ist. Wenn es sich darum handeln wird, jede entbehrliche Ausgabe dem Lande zu ersparen, so wird man die Eliteschulen einschränken, die Fonds zur Erhaltung und Vermehrung der Bibliotheken und Sammlungen kürzen und schließlich streichen, unsre Mahlzeiten reduzieren, unsre Kleidung nicht mehr erneuern, aber man wird sämtliche Hauptdisziplinen

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