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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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unsrer Universitas Litterarum fortbestehen lassen, nur nicht das Glasperlenspiel. Mathematik braucht man auch, um neue Schußwaffen zu erfinden, aber daß aus der Schließung des Vicus Lusorum und der Abschaffung unsres Spieles dem Land und Volk der geringste Schaden erwachsen könne, wird niemand glauben, am wenigsten die Militärs. Das Glasperlenspiel ist der extremste und gefährdetste Teil unsres Gebäudes. Vielleicht hängt es damit zusam
men, daß es gerade der Magister Ludi, der Vorsteher unsrer weltfremdesten Disziplin, ist, der die kommenden Erdbeben als erster vorausfühlt oder dies Gefühl doch als erster vor der Behörde ausspricht.
    Also ich betrachte für den Fall politischer und namentlich kriegerischer Umwälzungen das Glasperlenspiel als verloren. Es wird rasch verkommen, auch wenn noch so viele Einzelne ihm die Anhänglichkeit bewahren, und es wird nicht wiederhergestellt werden. Die Atmosphäre, die einer neuen Kriegsepoche folgen wird, wird es nicht dulden. Es wird ebenso verschwinden wie gewisse höchstkultivierte Gepflogenheiten in der Geschichte der Musik, etwa die Chöre von Berufssängern um 1600 oder die sonntäglichen Figuralmusiken in den Kirchen um 1700. Damals sind von Menschenohren Klänge gehört worden, die keine Wissenschaft und kein Zauber in ihrer engelhaft strahlenden Reinheit zurückbeschwören können. Und so wird auch das Glasperlenspiel nicht vergessen werden, aber unwiederbringlich sein, und die, welche alsdann seine Geschichte, sein Entstehen, seine Blüte und sein Ende studieren, werden seufzen und uns darum beneiden, daß wir in einer so friedlichen, so gepflegten, so reingestimmten geistigen Welt haben leben dürfen.
    Obwohl ich nun Magister Ludi bin, halte ich es keineswegs für meine (oder unsre) Aufgabe, das Ende unsres Spieles zu verhindern oder hinauszuschieben.
Auch das Schöne und Schönste ist vergänglich, sobald es Geschichte und Erscheinung auf Erden geworden ist. Wir wissen es und können darüber Wehmut empfinden, aber nicht im Ernst es zu ändern versuchen; denn es ist unabänderlich. Wenn das Glasperlenspiel zu Fall kommt, wird Kastalien und wird die Welt einen Verlust erleiden, aber sie wird ihn im Augenblick kaum empfinden, so sehr wird sie in der großen Krise damit beschäftigt sein, das zu retten, was noch zu retten ist. Es ist ein Kastalien ohne Glasperlenspiel denkbar, aber nicht ein Kastalien ohne Ehrfurcht vor der Wahrheit, ohne Treue gegen den Geist. Eine Erziehungsbehörde kann ohne Magister Ludi auskommen. Aber dieses »Magister Ludi« bedeutet ja, was wir beinah vergessen haben, ursprünglich und wesentlich nicht die Spezialität, die wir mit dem Wort bezeichnen. Magister Ludi bedeutet ursprünglich ganz einfach Schulmeister. Und der Schulmeister, der guten und tapferen Schulmeister, wird unser Land desto mehr bedürfen, je gefährdeter Kastalien ist und je mehr von seinen Kostbarkeiten überständig werden und abbröckeln. Lehrer brauchen wir nötiger als alles andre, Männer, die der Jugend die Fähigkeit des Messens und Urteilens beibringen und ihr Vorbilder sind in der Ehrfurcht vor der Wahrheit, im Gehorsam gegen den Geist, im Dienst am Wort. Und das gilt nicht allein und nicht zuerst für unsre Eliteschulen, deren Existenz
ja auch einmal ein Ende haben wird, sondern es gilt für die weltlichen Schulen draußen, wo die Bürger und Bauern, die Handwerker und Soldaten, die Politiker, Offiziere und Herrscher erzogen und gebildet werden, solange sie noch Kinder und bildsam sind. Dort ist die Basis des geistigen Lebens im Lande, nicht in den Seminaren oder im Glasperlenspiel. Wir haben stets das Land mit Lehrern und Erziehern versorgt, ich sagte es schon: sie sind die besten von uns. Wir müssen aber weit mehr tun, als bisher geschehen ist. Wir dürfen uns nicht mehr darauf verlassen, daß aus den Schulen draußen uns ja immer wieder die Elite der Begabten zuströmt und unser Kastalien erhalten hilft. Wir müssen den demütigen, an Verantwortung schweren Dienst in den Schulen, den weltlichen Schulen, immer mehr als den wichtigsten und ehrenvollsten Teil unserer Aufgabe erkennen und ausbauen.
    Damit bin ich nun auch bei dem persönlichen Gesuch angelangt, das ich an die verehrliche Behörde richten möchte. Ich bitte hiermit die Behörde, mich meines Amtes als Magister Ludi zu entheben und mir draußen im Lande eine gewöhnliche Schule anzuvertrauen, eine große oder kleine, und mir zu erlauben, an diese Schule allmählich einen Stab von jungen

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