Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In neue, andre Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stufe um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegensenden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden . . .
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Knecht hatte Mut zu diesem Abschied. In einem Rundschreiben an seine Mitmagister bittet er um seine Entlassung als Spielmeister, die ihm aber von der Erziehungsbehörde nicht gewährt wird. In einem persönlichen Gespräch mit dem Ordensleiter, in dem noch einmal alle Probleme der kastalischen Geistigkeit aufklingen, vollzieht Knecht seine Trennung von Kastalien und wandert in die Welt hinaus.
Als einfacher Lehrer will er sich der Erziehung eines eigenwilligen Knaben, Tito, widmen und bezieht mit diesem ein Landhaus in den Bergen. Schwer ist
der Knabe für den Unterricht zu gewinnen. Doch eines Morgens glaubt Knecht, ihm endlich nahegekommen zu sein. Als ihn der Knabe nach dem Unterricht zum Bad im umliegenden Bergsee auffordert, zögert Knecht nicht, um den Knaben nicht zu enttäuschen und das Angebahnte nicht wieder zu zerstören, und folgt ihm in das kalte Naß. Eisig und lähmend umfängt es ihn. Und während er noch glaubte »um die Seele des Knaben zu kämpfen«, kämpfte er schon mit dem Tode, »der ihn gestellt und zum Ringen umarmt hatte«. Mit Knechts Tod schließt das Werk.
Wie ist dieser Tod zu begreifen, wie dieses Ende zu verstehen? Wohl haben wir den polaren Rhythmus in Knechts Leben als unabänderliches Gesetz verfolgt, aber im Vertrauen auf die Einheit über den Gegensätzen hatten wir gehofft, daß sich die östliche Weisheit und reine Geistigkeit Kastaliens mit den Gegebenheiten unserer Welt verschmelzen würde. Und nun dieser überraschende Tod! Doch hören wir, wie Hesse selbst diesen Tod aufgefaßt wissen will (zitiert nach einem Brief vom November 1947): »Aber schließlich ist es garnicht so wichtig, ob Sie es verstehen werden; ich meine: mit dem Verstande diesen Tod Knechts begreifen und billigen. Denn dieser Tod hat seine Wirkung auf Sie schon getan. Er hat in Ihnen, so wie er es in Tito getan hat, einen Stachel hinterlassen, eine nicht mehr zu vergessende Mahnung; er hat ein geistiges Gewissen in Ihnen erweckt oder be
stärkt, welches weiter wirken wird, auch wenn die Zeit kommt, wo Sie mein Buch vergessen haben werden. Hören Sie nur auf diese Stimme, die jetzt nicht mehr aus einem Buche, sondern in Ihrem eigenen Innern spricht; sie wird Sie weiterführen.«
In Hesses Glasperlenspiel hat sich im Bilde der hierarchisch gegliederten Provinz Kastaliens die seit dem Bewußtwerden des menschlichen Geistes wirkende Sehnsucht erfüllt: die Sehnsucht nach einem reinen und höheren Dasein. Die Worte Hermann Hesses aber sind für unsere Zeit gesprochen: »Es können Zeiten des Schreckens und tiefsten Elends kommen. Wenn aber beim Elend noch ein Glück sein soll, so kann es nur ein geistiges sein, rückwärts gewandt zur Rettung der Bildung früherer Zeit, vorwärts gewandt zur heiteren und unverdrossenen Vertretung des Geistes in einer Zeit, die sonst gänzlich dem Stoff anheimfallen könnte.« Und ein weiteres Wort richtet Hesse besonders an uns, an die studierende Jugend: »Du sollst dich nicht nach einer vollkommenen Lehre sehnen, sondern nach einer Vervollkommnung deiner selbst.« Dieses Streben zur Vervollkommnung und das Wissen, daß Wahrheit nicht doziert, sondern gelebt wird, ist Knechts und Hesses Ziel und sollte auch das unsere sein.
Volker Michels
Zur Aktualität von Hermann Hesses »Glasperlenspiel«
Im Oktober 1928 feierte der Reclam Verlag sein 100jähriges Bestehen. Aus diesem Anlaß schrieb Hermann Hesse seinen berühmten Essay »Eine Bibliothek der Weltliteratur«. Die einführenden Worte zu diesem Leitfaden durch die Literaturgeschichte sind eine
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