Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Vorwegnahme jener pädagogischen Ziele, zu deren Verwirklichung er mit seinem Alterswerk »Das Glasperlenspiel« beitragen wollte: »Echte Bildung ist nicht Bildung zu irgendeinem Zwecke, sondern sie hat, wie jedes Streben nach dem Vollkommenen, ihren Sinn in sich selbst. So wie das Streben nach körperlicher Kraft, Gewandtheit und Schönheit nicht irgendeinen Endzweck hat, etwa den, uns reich, berühmt und mächtig zu machen, sondern seinen Lohn in sich selbst trägt, indem es unser Lebensgefühl und unser Selbstvertrauen steigert, indem es uns froher und glücklicher macht und uns ein höheres Gefühl von Sicherheit und Gesundheit gibt, ebenso ist auch das Streben nach ›Bildung‹, das heißt nach geistiger und seelischer Vervollkommnung, nicht ein mühsamer Weg zu irgendwelchen begrenzten Zielen, sondern ein beglückendes und stärkendes Erweitern unsres Bewußtseins, eine Bereicherung unsrer Lebens- und Glücksmöglichkeiten. Darum ist echte Bil
dung, ebenso wie echte Körperkultur, Erfüllung und Antrieb zugleich, ist überall am Ziel und bleibt doch nirgends rasten, ist ein Unterwegssein im Unendlichen, ein Mitschwingen im Universum, ein Mitschwingen im Zeitlosen. Ihr Ziel ist nicht Steigerung einzelner Fähigkeiten und Leistungen, sondern sie hilft uns, unsrem Leben einen Sinn zu geben, die Vergangenheit zu deuten, der Zukunft in furchtloser Bereitschaft offenzustehen.«
Damit hatte Hesse, lange vor der Niederschrift der ersten Stichworte zu seinem letzten Roman Das Glasperlenspiel einen der inhaltlichen Schwerpunkte dessen umrissen, was darzustellen er (in einem Brief vom 18.2.1935 an Otto Hartmann) als »Endziel meines Lebens und meiner Dichtung« bezeichnet hat, nämlich »mitten in der Zeit der Gewalt ein Bekenntnis zum Glauben an den Geist« zu gestalten.
Im April 1932 war trotz des traumatischen Endes des Ersten Weltkriegs Deutschlands volkstümlichster Heerführer, der 84jährige Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, ein zweites Mal zum Reichspräsidenten gewählt worden. Ein knappes Jahr später sollte er Hitler zum Reichskanzler ernennen. Die bereits unter Wilhelm II . verhängnisvolle Verflechtung von Bildungswesen, Schulen und Universitäten mit dem Staat durch das lohnabhängige Beamtenverhältnis von Lehrern und Professoren wurde nun noch bedrohlicher, da jede Abweichung von den Absichten
der jeweiligen Regierung existenzgefährdende Folgen haben konnte. Und weil an eine verfassungsmäßige Korrektur dieser Zustände auf lange Sicht noch nicht zu denken war, hoffte Hesse, mit der modellhaften Darstellung eines vom Staat weitgehend unbeeinflußbaren Bildungssystems zu einer Änderung der bestehenden Verhältnisse beitragen zu können, die bald darauf zu den Adolf-Hitler-Schulen, den nationalpolitischen Erziehungsanstalten (Napola) und den Ritter- und Ordensschulen der SS pervertieren sollten.
Getreu seiner Devise »Damit das Mögliche entsteht, muß immer wieder das Unmögliche versucht werden« unternahm Hesse mit der Konzeption einer an Goethes Wilhelm Meister anknüpfenden Darstellung einer Idealschule den Versuch, etwas bisher noch nicht Existentes, aber Mögliches und Wünschbares auf eine Weise vor Augen zu führen, als wäre es bereits wirklich, in der Hoffnung, dieses alternative Bildungssystem damit einen Schritt näher an die Realisierung heranführen zu können. Es ist die »pädagogische Provinz« Kastalien, wo eine die unterschiedlichsten Fakultäten vernetzende Kommunikationstechnik praktiziert wird, die er, ihrer spielerisch zwanglosen Mobilität wegen, als Glasperlenspiel bezeichnete. Darauf zielt das dem Buch vorangestellte Motto, das nicht zufällig zugleich in scholastischem Latein wiedergegeben wird. Denn dieses Ideal hat Vorläufer, die bis zu den platonischen Ideen, der »Har
monie der Sphären« des Pythagoras, zu Thomas von Aquin und zur »Coincidentia Oppositorum« des Nicolaus Cusanus zurückreichen.
Anders als in seinen früheren Werken, die zumeist autotherapeutische Versuche waren, individuelle Probleme klärend zu gestalten, ist Hesse mittlerweile so sehr im Lot und gefestigt, daß er sich einem Thema von gesellschaftspolitischer Tragweite zuwenden kann, dem Projekt einer zukunftsweisenden Erziehungsreform. Der Schwerpunkt liegt nicht mehr auf der Selbstfindung und -entfaltung, sondern bei deren Nutzanwendung für die Gemeinschaft. Zwar ist auch in Kastalien die Persönlichkeit Voraussetzung, doch geht es weniger um ihren Werdegang, als um ihre Fähigkeit zur
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