Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
zurufen: Ich, Hermann Hesse, Knecht, Diener am Reiche des Geistigen, will versuchen, euch zu zeigen, wie eure Welt, die nicht nur durch äußere Ereignisse, sondern auch durch eine innere Entwicklung zugrunde gegangen ist, wieder von innen her
neugeordnet werden kann. »Frommen und gewissenhaften Menschen« wird die Einheit des Lebens, die »Verschwisterung von Wissenschaft und Kunst« offenbar werden. Dienet wie ich! Diesen rätselvollen Worten, die nur aus dem Gesamt des Werkes deutlich erklärbar sind, folgt der »Versuch einer allgemeinverständlichen Einführung« in die Geschichte des Glasperlenspiels, in jene Kunst der Künste, die es nie gegeben hat. »Versuch« und »allgemeinverständlich« nennt der Dichter seine Einleitung. Gerade diese Einleitung jedoch ist das wohl am schwersten Verständliche des ganzen zweibändigen Werkes. Hier verwirrt sich der Leser leicht. Diese Einleitung ist Irreführung und Deutung, zugleich aber auch aktuelle Kritik an der Kultur des zwanzigsten Jahrhunderts.
Das Glasperlenspiel wird an der obersten Schule der »pädagogischen Provinz« Kastaliens gespielt. Die Glasperlenspieler, der Orden von wahrhaften Dienern am Geiste, nennen sich Kastalier, nach Kastalia, jener heiligen Quelle in Delphi, dem Sinnbild echter dichterischer Begeisterung. Der Orden der Glasperlenspieler ist hierarchisch gegliedert: In den niederen Schulen werden Wissenschaften und Künste, in Waldzell das Glasperlenspiel gelehrt, dessen oberster Leiter der Glasperlenspielmeister (Magister Ludi) ist. Dieser untersteht wiederum der obersten Erziehungsbehörde. Symbol dieser Hierarchie ist eben das Glasperlenspiel, das in den Jahresspielen besonders feier
lich zelebriert wird. Höchste Pflicht der Ordensbrüder ist es, im Glasperlenspiel »die Wahrheit, d. h. das Streben nach Wahrheit« als obersten Glaubenssatz zu pflegen. In seiner Einleitung geht es Hesse nicht darum, die Technik des Spiels zu zeigen und das so oft erwähnte Instrument dem spannend wartenden Leser genau zu schildern (er kann es gar nicht, da es ein solches nicht gibt), vielmehr aber will er uns den Sinn, den geistigen Gehalt deuten. Die Einleitung erklärt uns das Glasperlenspiel als »ein Spiel mit sämtlichen Inhalten und Werten unserer Kultur«. »Theoretisch ließe sich mit diesem Spiel der ganze geistige Weltinhalt im Spiele reproduzieren.« Es basiert auf der Mathematik und der Musik(wissenschaft) des 15. bis 18. Jahrhunderts, in der Hesse den »Extrakt und Inbegriff unserer Kultur« sieht. Vorgang des Spieles ist, alles Wissen und allen kulturellen Willen der Zeit »systematisch und synoptisch auf ein Zentrum hinzuordnen und zusammenzupassen« und mit ihnen zu spielen, »wie etwa in den Blütezeiten der Künste ein Maler mit den Farben seiner Palette gespielt haben mag«. Wie dies im einzelnen geschehen soll, darüber schweigt Hesse. Hier muß sich der Leser – und dies scheint mir für das Verstehen des Werkes wichtig zu sein – vollständig von einem äußeren Erscheinungsbild eines etwaigen Instruments freimachen, er muß jene abstrakte Konstruktion in sich selbst abstrahieren und nur den
Sinn des Spieles im Augen behalten: das Glasperlenspiel als »Inbegriff des Geistigen und Musischen«, der »sublime Kult, die Unio Mystica aller getrennten Glieder der Universitas Litterarum«.
Und noch eines: Der Biograph Hermann Hesse transponiert das Leben seines Helden in die Zeit um 2200 . In seiner Einleitung nun, in der er – uns irreführend – die Geschichte seines Spieles zu deuten sucht, setzt er sich mit unserem Zeitalter auseinander, das Hesse das feuilletonistische nennt; das Zeitalter einer brutalen Ungeistigkeit, eines verantwortungslosen Individualismus und Chauvinismus, der grausamen Kriege und Selbstzerfleischungen, die Zeit, in der sich der Geist jeder noch so utilitaristischen Machtpolitik unterordnete. Die Zeichen dieser Zeit sind »die öde Mechanisierung des Lebens, das tiefe Sinken der Moral, die Glaubenslosigkeit der Völker, und die Unechtheit der Kunst«. Hier spüren wir ganz deutlich die aktuelle Nähe dieses angeblich so wirklichkeitsfernen Werkes. Das Wissen um den Verlust der geistigen Einheit der abendländischen Kultur und der ihr deshalb drohenden Auflösung mag der Grundantrieb gewesen sein, der Hesse zu dieser Dichtung veranlaßte.
Wenden wir uns nun dem Hauptteil des Werkes zu: der Lebensbeschreibung Josef Knechts. Seine Herkunft und äußere Erscheinung werden nicht näher beschrieben. Als einer
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