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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Stunde zu Stunde überwachen, ihn bei der Zeiteinteilung beraten und ihn vor
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    Einseitigkeiten sowohl wie vor völliger Überanstrengung bewahren mußte.
    Knecht war ihm dankbar, und noch mehr war er es dem
    Abgesandten der Ordensleitung, einem Meister der
    Meditationskunst von großem Ruf; er hieß Alexander. Dieser sorgte dafür, daß der bis zur äußersten Anspannung Arbeitende täglich dreimal der »kleinen« oder »kurzen«
    Übung nachkam und daß Ablauf und Minutendauer für jede solche Übung genauestens eingehalten wurden. Mit den beiden, dem Einpauker und dem kontemplativen Ordensmann, hatte er täglich, dicht vor der Abendmeditation, seinen Amtstag rückblickend zu rekapitulieren, Fortschritte und Niederlagen festzustellen, sich »den Puls zu fühlen«, wie die
    Meditationslehrer es nennen, das heißt, sich selbst, seine augenblickliche Lage, sein Befinden, die Verteilung seiner Kräfte, seine Hoffnungen und Sorgen zu erkennen und zu messen, sich selbst und sein Tagewerk objektiv zu sehen und nichts Ungelöstes in die Nacht und den andern Tag mit hinüberzunehmen.
    Während die Repetenten mit teils sympathisierendem, teils kämpferischem Interesse der gewaltigen Arbeit ihres Magisters zusahen und keine Gelegenheit versäumten, ihm improvisierte kleine Kraft-, Gedulds- und Schlagfertigkeitsproben
    aufzuerlegen, seine Arbeit bald zu befeuern, bald zu hemmen bestrebt, war um Tegularius eine fatale Leere entstanden. Daß Knecht jetzt keine Aufmerksamkeit, keine Zeit, keine Gedanken, keine Teilnahme für ihn übrig haben könne, begriff er zwar, vermochte aber sich gegen die vollkommene
    Vergessenheit, in die er für den Freund plötzlich versunken schien, doch nicht hart und gleichgültig genug zu machen, um so weniger, als er nicht nur von einem Tag auf den andern seinen Freund verloren zu haben schien, sondern auch noch von seinen Kameraden einiges Mißtrauen erfuhr und kaum
    angesprochen wurde. Was nicht verwunderlich war, denn wenn
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    Tegularius auch den Ehrgeizigen nicht ernstlich im Wege stehen konnte, so war er doch eben Partei und hatte bei dem jungen Magister seinen Stein im Brett.
    Dies alles konnte Knecht sich wohl denken, und es gehörte mit zu seinen augenblicklichen Aufgaben, mit allem andern Persönlichen und Privaten auch diese Freundschaft für eine Weile auszuschalten. Er tat dies aber, wie er dem Freunde später gestand, nicht eigentlich wissend und willentlich, sondern er hatte den Freund ganz einfach vergessen, er hatte sich so ganz zum Werkzeug gemacht, daß so private Dinge wie Freundschaft ins Unmögliche entschwanden, und wenn irgendwo, wie zum Beispiel in jenem Seminar zu fünfen, Fritzens Gestalt und Gesicht vor ihm erschien, so war es nicht Tegularius, war nicht ein Freund, ein Bekannter, eine Person, sondern es war einer von der Elite, ein Student, vielmehr Kandidat und Repetent, ein Stück seiner Arbeit und Aufgabe, ein Soldat in der Truppe, die zu schulen und mit der zu siegen sein Ziel war. Fritz hatte einen Schauder gespürt, als er zum erstenmal vom Magister so angeredet wurde; er hatte an dessen Blick gespürt, daß diese Fremde und Objektivität durchaus nicht gespielt, sondern echt und unheimlich sei und daß der Mann vor ihm, der ihn mit dieser sachlichen Höflichkeit bei großer geistiger Wachheit behandelte, nicht mehr sein Freund Josef sei, sondern nur Lehrer und Prüfer, nur Glasperlenspielmeister, vom Ernst und von der Strenge seines Amtes umgeben und abgeschlossen wie von einer glänzenden Glasur, die im Feuer um ihn gegossen und erstarrt wäre. Übrigens passierte mit Tegularius in diesen heißen Wochen ein kleiner Zwischenfall.
    Schlaflos und innerlich strapaziert durch das Erlebte, ließ er sich im kleinen Seminar eine Unartigkeit, eine kleine Explosion zuschulden kommen, nicht gegen den Magister, sondern gegen einen Kollegen, der ihm durch seinen spöttischen Ton auf die Nerven ging. Knecht bemerkte es wohl, bemerkte auch den überreizten Zustand des Delinquenten, er wies ihn nur durch
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    eine stumme Fingerbewegung zurecht, schickte ihm aber nachher seinen Meditationsmeister, um etwas Seelsorge an dem Schwierigen zu üben.
    Diese Fürsorge empfand Tegularius nach wochenlanger
    Entbehrung als erstes Anzeichen wieder erwachender
    Freundschaft, denn er nahm sie als eine ihm persönlich geltende Aufmerksamkeit und ließ sich willig in die Kur nehmen. In Wirklichkeit hatte Knecht kaum wahrgenommen, wem er diese Fürsorge erweise, er hatte lediglich

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