Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
gegen alle andern Disziplinen zu öffnen?
    -249-
    Wir können es nicht durch Zwangsvorschriften, indem wir etwa das Glasperlenspiel schon in den Schulen zum offiziellen Lehrfach machen, und wir können es auch nicht durch die bloße Erinnerung an das, was unsre Vorgänger mit diesem Spiel gemeint haben. Wir können unser Spiel und uns selbst nur dadurch als unentbehrlich ausweisen, daß wir es stets auf der Höhe des gesamten geistigen Lebens halten, daß wir jede neue Errungenschaft, jede neue Blickrichtung und Fragestellung der Wissenschaften uns wachsam aneignen und daß wir unsre Universalität, unser edles und auch gefährliches Spiel mit dem Gedanken der Einheit immer neu und immer wieder so hold, so überzeugend, so verlockend und reizvoll gestalten und betreiben, daß auch der ernsteste Forscher und fleißigste Fachmann immer wieder seinen Mahnruf, seine Verführung und Lockung empfinden muß.
    Stellen wir uns einmal vor, wir Spieler würden einige Zeit mit geringerem Eifer arbeiten, die Spielkurse für Anfänger würden langweiliger und oberflächlicher, in den Spielen für Fortgeschrittene würden die Fachgelehrten das lebendig pulsierende Leben, die geistige Aktualität und Interessantheit vermissen, unser großes Jahresspiel würde zwei-, dreimal nacheinander von den Gästen als leere Zeremonie, als unlebendig, als altmodisch, als zopfisches Relikt der Vergangenheit empfunden - wie rasch wäre es da mit dem Spiel und mit uns zu Ende! Wir sind ja schon jetzt nicht mehr auf der glänzenden Höhe, auf der das Glasperlenspiel vor einem Menschenalter stand, wo das Jahresspiel nicht eine oder zwei, sondern drei und vier Wochen dauerte und nicht nur für Kastalien, sondern für das ganze Land der Höhepunkt des Jahres war. Heute wohnt diesem Jahresspiel noch ein Vertreter der Regierung bei, oft genug als ein eher gelangweilter Gast, und einige Städte und Stände schicken noch Abgesandte; gegen Ende der Spieltage belieben diese Vertreter der weltlichen Mächte gelegentlich in höflicher Form durchblicken zu lassen,
    -250-
    daß die lange Dauer des Festes manche Stadt davon abhalte, auch ihrerseits Repräsentanten zu senden, und daß es vielleicht zeitgemäß wäre, entweder das Fest erheblich zu kürzen oder aber es inskünftig nur noch jedes zweite oder dritte Jahr abzuhalten. Nun, diese Entwicklung oder diesen Verfall können wir nicht aufhalten. Es ist wohl möglich, daß unser Spiel draußen in der Welt bald gar kein Verständnis mehr finden, daß das Fest nur noch alle fünf, alle zehn Jahre oder gar nicht mehr gefeiert werden kann. Was wir aber verhindern müssen und können, das ist die Mißkreditierung und Entwertung des Spieles in seiner eigenen Heimat, in unsrer Provinz. Hier ist unser Kampf hoffnungsvoll und führt immer wieder zum Sieg.
    Wir erleben es jeden Tag, daß junge Eliteschüler, die sich zu ihrem Spielkurs ohne allzu großen Eifer gemeldet hatten und ihn artig, aber ohne Begeisterung absolvierten, plötzlich von den Geistern des Spieles, von seinen intellektuellen Möglichkeiten, seiner ehrwürdigen Tradition, seinen seelenrührenden Kräften ergriffen und zu unsern leidenschaftlichen Anhängern und Parteigängern werden.
    Und wir können jedes Jahr beim Ludus sollemnis Gelehrte von Rang und Namen sehen, von denen wir wissen, daß sie ihr arbeitsreiches Jahr hindurch uns Glasperlenspieler eher von oben herab betrachten und unserm Institut nicht immer das Beste wünschen, und die nun, im Laufe des großen Spiels, von den Zaubern unsrer Kunst mehr und mehr gelöst und gewo nnen, entspannt und erhoben werden, sich verjüngen und beschwingen und schließlich im Herzen gestärkt und ergriffen mit Worten beinah beschämter Dankbarkeit sich verabschieden. Betrachten wir einen Augenblick die Mittel, die uns zu Gebote stehen, um unsre Aufgabe zu erfüllen, so sehen wir einen reichen, schönen und wohlgeordneten Apparat, dessen Herz und Mittelpunkt das Spielarchiv ist, den wir alle allstündlich dankbar benutzen und dem wir alle, vom Magister und Archivar bis zum letzten Gehilfen, dienen. Das Beste und Lebendigste an unsrem Institut
    -251-
    ist das alte kastalische Prinzip der Auswahl der Besten, der Elite. Die Schulen Kastaliens sammeln die besten Schüler aus dem ganzen Lande und bilden sie aus. Ebenso suchen wir im Spielerdorf die Besten unter den mit Liebe zum Spiel Begabten auszuwählen, sie festzuhalten und immer vollkommener auszubilden, unsre Kurse und Seminare nehmen Hunderte auf und lassen

Weitere Kostenlose Bücher