Das Glasperlenspiel
dieses Mannes, und hatte gefühlt, wie Kastalien auch nach ihm selbst greifen und ihn an sich saugen wollte, um vielleicht auch aus ihm einmal einen solchen Thomas zu machen, einen Meister, einen Regenten und Diener, ein vollkommenes Werkzeug.
Und nun stand er an der Stelle, wo jener gestanden war, und wenn er mit einem seiner Repetenten sprach, einem dieser klugen, mit allen Wassern gewaschenen Spieler und
Privatgelehrten, einem dieser fleißigen und hochmütigen Prinzen, so blickte er zu ihm in eine andre, fremdschöne, wunderliche und erledigte Welt hinüber, ganz ebenso wie einst Magister Thomas ihm in seine wunderliche Stu- dentenwelt hineingeblickt hatte.
-247-
Im Amte
Wenn die Übernahme des Magisteramtes zunächst mehr
Verlust als Gewinn gebracht zu haben schien, wenn sie die Kräfte und das persönliche Leben beinahe aufgezehrt, allen Gewohnheiten und Liebhabereien den Garaus gemacht, im Herzen eine kühle Stille und im Kopf etwas wie das
Schwindelgefühl bei seiner Überanstrengung zurückgelassen hatte, so brachte die nun folgende Zeit der Erholung, Besinnung und Eingewöhnung doch auch neue Beobachtungen und
Erlebnisse. Das größte war, nach geschlagener Schlacht, die vertrauensvolle und freundschaftliche Zusammenarbeit mit der Elite. In den Besprechungen mit seinem »Schatten«, in der Arbeit mit Fritz Tegularius, den er probeweise als Gehilfen bei der Korrespondenz gebrauchte, im allmählichen Studieren, Nachprüfen und Ergänzen der Zeugnisse und andern Notizen über Schüler und Mitarbeiter, die sein Vorgänger hinterlassen hatte, lebte er sich mit rasch wachsender Liebe in diese Elite ein, die er so genau zu kennen geglaubt hatte, deren Wesen aber, ebenso wie die ganze Eigenart des Spielerdorfes und seiner Rolle im kastalischen Leben, sich ihm erst jetzt in aller Wirklichkeit erschloß. Zwar hatte er dieser Elite und Repetentenschaft, diesem ebenso musischen wie ehrgeizigen Spielerdorf in Waldzell, manche Jahre angehört und hatte sich durchaus als ein Teil davon empfunden.
Jetzt aber war er nicht mehr nur irgendein Teil, lebte nicht nur mit dieser Gemeinschaft innig mit, sondern er empfand sich nun wie das Gehirn, wie das Bewußtsein und auch wie das Gewissen dieser Gemeinschaft, deren Regungen und Schicksale nicht nur miterlebend, sondern sie leitend und für sie verantwortlich. In einer gehobenen Stunde, am Schluß eines Kurses zur
Ausbildung von Spiellehrern für Anfänger, hat er es einmal so ausgesprochen:
-248-
»Kastalien ist ein kleiner Staat für sich, und unser Vicus Lusorum ein Stätchen innerhalb des Staates, eine kleine, aber alte und stolze Republik, ihren Schwestern gleichgeordnet und gleichberechtigt, aber in ihrem Selbstbewußtsein bestärkt und gehoben durch die besondere musische und gewissermaßen sakrale Art ihrer Funktion. Denn wir sind ja durch die Aufgabe ausgezeichnet, das eigentliche Heiligtum Kastaliens, sein einzigartiges Geheimnis und Symbol, zu hüten, das
Glasperlenspiel. Kastalien erzieht vorzügliche Musiker und Kunsthistoriker, Philologen, Mathematiker und andre Gelehrte.
Jedes kastalische Institut und jeder Kastalier sollte nur zwei Ziele und Ideale kennen: in seinem Fache das möglichst Vollkommene zu leisten und sein Fach und sich selbst dadurch lebendig und elastisch zu erhalten, daß er es beständig mit allen andern Disziplinen verbunden und allen innig befreundet weiß.
Dieses zweite Ideal, der Gedanke der inneren Einheit aller geistigen Bemühungen des Menschen, der Gedanke der
Universalität, hat in unsrem erlauchten Spiel seinen vollkommenen Ausdruck gefunden. Mag vielleicht für den Physiker oder Musikhistoriker oder irgendeinen anderen Gelehrten ein strenges und asketisches Beharren bei seinem Fache zuzeiten geboten und ein Verzicht auf den Gedanken der Universalbildung der momentanen, speziellen Höchstleistung förderlich sein - wir jedenfalls, wir Glasperlenspieler, dürfen diese Beschränkung und Selbstgenügsamkeit niemals gutheißen und üben, denn gerade unsere Aufgabe ist es ja, den Gedanken der Universitas Litterarum und seinen höchsten Ausdruck, das edle Spiel, zu hüten und immer wieder vor der Neigung der Einzel- disziplinen zur Selbstgenügsamkeit zu retten. Aber wie können wir etwas retten, was nicht selber den Wunsch hätte, gerettet zu werden? Und wie können wir den Archäologen, den Pädagogen, den Astrono men und so weiter zwingen, auf ein selbstgenügsames Fachgelehrtentum zu verzichten und immer wieder ihre Fenster
Weitere Kostenlose Bücher