Das Glasperlenspiel
ahnen konnte, die aber einen ganzen Mann und seine Hingabe zu fordern schien. Auch tat es seiner Selbstachtung wohl, daß man ihn für erwachsen und gescheit genug nahm, um ihn für diese verwickelten Dinge zu interessieren. Er wurde still und begann in dieser halben Stunde zu ahnen, aus welchen Quellen die Heiterkeit und sichere Ruhe dieses merkwürdigen Mannes komme.
Knechts amtliche Tätigkeit war in dieser letzten Zeit beinahe so intensiv wie einst in der schwierigen Zeit seiner Amtsübernahme. Ihm lag daran, alle Ressorts seiner
Verpflichtungen in einem musterhaften Zustande zu hinterlassen. Dies Ziel hat er auch erreicht, wennschon er das mitgemeinte Ziel verfehlte, seine Person als entbehrlich oder doch leicht ersetzbar erscheinen zu lassen. Es ist ja bei unseren höchsten Ämtern beinahe immer so: der Magister schwebt, beinahe nur wie ein oberstes Schmuckstück, eine blanke Insignie, über dem komplizierten Vielerlei seines
Amtsbereiches; er kommt und geht rasch, leicht wie ein freundlicher Geist, sagt zwei Worte, nickt ein Ja, deutet einen Auftrag durch eine Gebärde an und ist schon fort, schon beim Nächsten, er spielt auf seinem Amtsapparat wie ein Musikant auf seinem Instrument, scheint keine Kraft und kaum ein Nachdenken zu brauchen, und alles läuft, wie es laufen soll.
Aber jeder Beamte in diesem Apparat weiß, was es heißen will, wenn der Magister verreist oder krank ist, was es heißt, auch nur für Stunden oder für einen Tag ihn zu ersetzen! Während Knecht noch einmal den ganzen Kleinstaat des Vicus Lusorum
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prüfend durchlief und namentlich alle Sorgfalt darauf verwandte, seinen »Schatten« unauffällig der Aufgabe entgegenzuführen, ihn nächstens allen Ernstes zu vertreten, konnte er zugleich feststellen, wie sein Innerstes sich schon von alledem gelöst und entfernt hatte, wie die ganze Kostbarkeit dieser wohldurchdachten kleinen Welt ihn nicht mehr beglückte und fesselte. Er sah Waldzell und sein Magisteramt schon beinahe wie etwas hinter ihm Liegendes an, einen Bezirk, den er durchschritten, der ihm vieles gegeben und ihn vieles gelehrt hatte, der aber nun keine neuen Kräfte und Taten mehr aus ihm locken konnte. Mehr und mehr auch wurde ihm in der Zeit dieses langsamen Sichlösens und Abschiednehmens klar, daß der eigentliche Grund seines Fremdwerdens und Fortwollens wohl nicht das Wissen um die für Kastalien bestehenden Gefahren und die Sorge um dessen Zukunft sei, sondern daß es einfach ein leer und unbeschäftigt gebliebenes Stück seiner selbst, seines Herzens, seiner Seele sei, das nun sein Recht begehrte und sich erfüllen wollte.
Er studierte damals auch die Verfassung und Statuten des Ordens noch einmal gründlich und sah, daß sein Entkommen aus der Provinz im Grunde nicht so schwer, nicht so beinahe unmöglich zu erreichen sei, wie er es sich anfangs vorgestellt hatte. Sein Amt aus Gewissensgründen niederzulegen, stand ihm frei, den Orden zu verlassen ebenfalls, das Ordensgelübde war keines auf Lebenszeit, wennschon nur selten ein Mitglied, und niemals ein Glied der höchsten Behörde, von dieser Freiheit Gebrauch gemacht hatte. Nein, was ihm den Schritt so schwer erscheinen ließ, war nicht die Strenge des Gesetzes, es war der hierarchische Geist selbst, die Loyalität und Bundestreue in seinem eigenen Herzen. Gewiß, er wollte ja nicht heimlich entlaufen, er bereitete ein umständliches Gesuch zur Erlangung seiner Freiheit vor, das Kind Tegularius schrieb sich daran die Finger schwarz. Aber er glaubte an den Erfolg dieses Gesuches nicht. Man würde ihn begütigen, ihn ermahnen, ihm vielleicht
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einen Erholungsurlaub anbieten, nach Mariafels, wo Pater Jakobus vor kur zem gestorben war, oder vielleicht nach Rom.
Aber loslassen würde man ihn nicht, das glaubte er immer sicherer zu wissen. Ihn loszulassen, würde aller Tradition des Ordens widersprechen. Täte es die Behörde, so würde sie damit zugeben, daß sein Verlangen berechtigt sei, sie würde zugeben, daß das Leben in Kastalien, und gar auf so hohem Posten, unter Umständen einem Menschen nicht genügen, ihm Verzicht und Gefangenschaft bedeuten könne.
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Das Rundschreiben
Wir nähern uns dem Ende unsrer Erzählung. Wie schon
angedeutet, ist unser Wissen um dieses Ende lückenhaft und trägt beinahe mehr den Charakter einer Sage als den eines historischen Berichtes. Wir müssen uns damit begnügen. Desto angenehmer aber ist es uns, dieses vorletzte Kapitel von Knechts Lebenslauf mit
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