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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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maskenstrenges Gesicht nahm einen kindlichen und etwas törichten Ausdruck an, wie das eines allzu plötzlich aus tiefem Schlaf Geweckten, er wiegte sich ein wenig in den Knien, blickte dem Lehrer dummerstaunt ins Gesicht und streckte mit plötzlicher Eile, als falle ihm soeben etwas Wichtiges, beinahe schon Versäumtes ein, den rechten Arm mit zeigender Gebärde aus, auf das jenseitige Seeufer weisend, das wie die Hälfte der Seebreite noch in dem großen Schatten lag, den der vom Morgenstrahl bezwungene Felsberg allmählich immer enger um seine Basis zusammenzog.
    »Wenn wir sehr schnell schwimmen«, rief er hastig und knabeneifrig, »so können wir grade noch vor der Sonne am andern Ufer sein.«
    Die Worte waren kaum hervorgestoßen, die Parole zum
    Wettschwimmen mit der Sonne kaum erteilt, so war Tito mit einem gewaltigen Satz, den Kopf voran, im See verschwunden, als könne er, sei es aus Übermut oder aus Verlegenheit, gar nicht rasch genug sich davonmachen und die vorangegangene
    feierliche Szene in gesteigerter Tätigkeit vergessen machen. Das Wasser spritzte auf und schlug über ihm zusammen, einige Augenblicke später erschienen Kopf, Schultern und Arme wieder und blieben, sich rasch entfernend, auf dem blaugrünen Spiegel sichtbar.
    Knecht hatte, als er hier herauskam, keineswegs im Sinne gehabt, zu baden und zu schwimmen, es war ihm viel zu kühl und nach der halbkrank verbrachten Nacht viel zu wenig wohl gewesen. Jetzt, in der schönen Sonne, angeregt durch das soeben Geschaute, kameradschaftlich eingeladen und angerufen von seinem Zögling, fand er das Wagnis weniger abschreckend. Vor
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    allem aber fürch- tete er, es möge das, was diese Morgenstunde angebahnt und versprochen hatte, wieder versinken und verlorengehen, wenn er jetzt den Jungen allein ließe und enttäuschte, indem er in kühler erwachsener Vernünftigkeit die Kraftprobe ablehnte. Wohl warnte ihn das Gefühl von
    Unsicherheit und Schwäche, das er sich durch die rasche Bergreise zugezogen hatte, aber vielleicht ließ dies Unwohlsein sich grade durch Zwang und rauhes Zugreifen am schnellsten überwinden. Der Anruf war stärker als die Warnung, der Wille stärker als der Instinkt. Eilig zog er den leichten Morgenmantel aus, holte tief Atem und warf sich an derselben Stelle ins Wasser, an der sein Schüler untergetaucht war.
    Der See, aus Gletscherwassern gespeist und selbst im wärmsten Sommer nur für sehr Abgehärtete bekömmlich, empfing ihn mit einer Eiseskälte von schneidender
    Feindseligkeit.
    Er war auf einen tüchtigen Schauder gefaßt gewesen, nicht aber auf diese grimmige Kälte, die ihn ringsum wie mit lodernden Flammen umfaßte und nach einem Augenblick
    aufwallenden Brennens rasch in ihn einzudringen begann. Er war nach dem Absprung schnell wieder emporgetaucht,
    entdeckte mit großem Vorsprung vor sich den Schwimmer Tito wieder, fühlte sich von dem Eisigen, Wilden, Feindseligen bitter bedrängt und glaubte noch um die Verringerung des Abstandes, um das Ziel des Wettschwimmens, um die Achtung und
    Kameradschaft, um die Seele des Knaben zu kämpfen, als er schon mit dem Tode kämpfte, der ihn gestellt und zum Ringen umarmt hatte. Mit allen Kräften kämpfend hielt er ihm stand, solange das Herz noch schlug.
    Der junge Schwimmer hatte des öftern zurückgeblickt und mit Genugtuung wahrgenommen, daß der Magister ihm ins Wasser gefolgt sei. Nun spähte er wieder, sah den andern nicht mehr, wurde unruhig, spähte und rief, kehrte um und beeilte sich, um ihm beizustehen. Er fand ihn nicht mehr und suchte
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    schwimmend und tauchend so lange nach dem Versunkenen, bis in der bittern Kälte auch ihm die Kräfte schwanden. Taumelnd und atemlos kam er endlich an Land, sah den Bademantel am Ufer liegen, hob ihn auf und begann sich damit mechanisch Leib und Glieder abzureiben, bis die erstarrte Haut sich wieder erwärmte. In der Sonne setzte er sich nieder wie betäubt, starrte ins Wasser, dessen kühles Blaugrün ihn jetzt wunderlich leer, fremd und böse anblickte, und fühlte sich von Ratlosigkeit und tiefer Traurigkeit ergriffen, als mit dem Schwinden der körperlichen Schwäche das Bewußtsein und der Schreck über das Geschehene wiederkehrte.
    O weh, dachte er entsetzt, nun bin ich an seinem Tode schuldig! Und erst jetzt, wo kein Stolz zu wahren und kein Widerstand mehr zu leisten war, spürte er im Weh seines erschrockenen Herzens, wie lieb er diesen Mann schon gehabt hatte. Und indem er sich, trotz allen Einwänden, an

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