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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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wollte sie verzweifelt weggehen, als er endlich kam. Sobald sie ihn erblickte, entfesselte sie ein wahres Gewitter im Brunnen: sie schwenkte den Eimer mit zorniger Hand; das schwärzliche Wasser schlug dumpf glucksend gegen die Steine. Vergebens erklärte ihr Silvère, daß Tante Dide ihn aufgehalten habe. Auf alle Entschuldigungen erwiderte sie: »Du hast mir weh getan, ich mag dich nicht sehen!«
    Der arme Junge befragte verzweifelt das dunkle, von jämmerlichem Lärm erfüllte Loch, wo ihn sonst eine so deutliche Erscheinung auf dem schweigenden, reglosen Wasser erwartet hatte. Er mußte gehen, ohne Miette gesehen zu haben. Als er tags darauf vorzeitig zum Stelldichein erschien, traurig in den Brunnen blickte, nichts hörte und sich sagte, daß der Trotzkopf vielleicht gar nicht kommen werde, beugte sich das Mädchen, das bereits jenseits der Mauer heimlich Silvères Kommen abgepaßt hatte, ganz plötzlich vor und brach in Lachen aus. Alles war vergessen.
    So gab es bei ihnen Trauer und Lustspiele, bei denen der Brunnen mitwirkte. Dieses glückspendende Loch mit seinen weißen Spiegeln und seinem wohlklingenden Widerhall förderte auf eine merkwürdige Weise ihre gegenseitige Zuneigung. Sie verliehen ihm ein seltsames Leben; sie erfüllten es so sehr mit ihrer jungen Liebe, daß Silvère noch lange danach, als sie nicht mehr dorthin kamen, sich nicht mehr auf die Einfassung stützten, jeden Morgen beim Wasserschöpfen unten in dem kühlen Halbdunkel, worin noch immer alles Glück, das sie dort zurückgelassen hatten, nachzitterte, Miettes lachendes Gesicht zu sehen glaubte.
    Dieser Monat voll verspielter Zärtlichkeit rettete Miette aus ihrer stummen Verzweiflung. Sie fühlte, wie ihre Liebesfähigkeit, ihre glückliche Kindersorglosigkeit wieder auflebten, die von der feindseligen Einsamkeit, in der sie leben mußte, unterdrückt worden waren. Die Gewißheit, daß jemand sie liebte, daß sie nicht mehr allein war in der Welt, machte ihr die Quälereien Justins und der Vorstadtjungen erträglich. In ihrem Herzen erklang jetzt ein Lied, das alles Gejohle übertönte. Sie dachte mit zärtlichem Mitleid an ihren Vater und überließ sich nicht mehr so oft ihren Träumen von unversöhnlicher Rache. Ihre erwachende Liebe war wie ein frischer, junger Morgen, an dem sich ihr böses Fieber beruhigte. Und gleichzeitig kam ihr die Schlauheit verliebter Mädchen. Sie sagte sich, daß sie ihre stumme Trotzhaltung beibehalten müsse, wenn Justin keinerlei Argwohn schöpfen sollte. Aber wie sehr sie sich auch bemühte, blieben doch, wenn dieser Kerl sie jetzt kränkte, ihre Augen voller Güte; sie wußte nicht, wo sie den dunklen, harten Blick von früher hernehmen sollte. Justin hörte sie auch manchmal morgens beim Frühstück ein Liedchen summen.
    »Na, du bist aber vergnügt, Chantegreil!« sagte er argwöhnisch und musterte sie mit scheelem Blick. »Ich wette, du hast irgend etwas angestellt!«
    Sie zuckte mit den Achseln, zitterte dabei aber innerlich; rasch zwang sie sich dazu, ihre gewohnte Rolle einer empörten Märtyrerin zu spielen. Übrigens mußte Justin, obwohl er die geheimen Freuden seines Opfers witterte, lange forschen, bis er endlich herausbrachte, auf welche Weise sie ihm entschlüpft war.
    Silvère seinerseits genoß ein tiefes Glück. Seine täglichen Zusammenkünfte mit Miette genügten, um die leeren Stunden auszufüllen, die er zu Hause zubrachte. Sein Einsiedlerleben, sein langes schweigendes Beisammensein mit Tante Dide benutzte er dazu, die Erinnerungen an das morgendliche Erlebnis eine nach der anderen wieder wachzurufen und sich bis in die kleinsten Einzelheiten nochmals daran zu erfreuen. Er erlebte jetzt eine Fülle von Empfindungen, die ihn noch mehr in das klösterliche Dasein einmauerten, das er sich bei der Großmutter geschaffen hatte. Er liebte aus Veranlagung die heimlichen Winkel, einsame Orte, wo er ungestört in seiner Gedankenwelt leben konnte. Zu jener Zeit hatte er sich schön eifrig in die Lektüre all der zerfetzten Schwarten gestürzt, die er bei den Vorstadttrödlern fand und die ihn zu einem hochherzigen und sonderbaren sozialen Glauben führen sollten. Diese unzureichend verdauten Kenntnisse, denen jegliche feste Grundlage fehlte, öffneten ihm Ausblicke, die ihm die Welt, namentlich die Frauen, im Lichte hohler Eitelkeit und heißer Wollust zeigten und seinen Geist seltsam verwirrt hätten, wenn sein Herz leer geblieben wäre. Da kam Miette. Anfangs sah er in ihr eine

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