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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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das Hinundhergehen, und wenn sie die jungen Triebe zertraten, hauchten manche Pflanzen einen herben Duft aus, der sie trunken machte. Dann lehnten sie sich, von einer seltsamen Erschlaffung ergriffen, verwirrt und taumelnd, die Füße wie gefesselt von den Gräsern, an die Mauer, mit halbgeschlossenen Augen, unfähig weiterzugehen. Es war ihnen, als ströme die ganze Mattigkeit des Himmels in sie ein.
    Da sich ihr schülerhaftes Ungestüm schlecht mit diesen plötzlichen Schwächeanwandlungen abfand, beschuldigten sie schließlich ihren Schlupfwinkel, er sei zu stickig, und beschlossen, ihre Liebe weiter draußen in freier Flur spazierenzuführen. Nun machten sie jeden Abend einen anderen Ausflug. Miette kam mit ihrer Pelisse; beide hüllten sich in das weite Kleidungsstück und strichen an den Mauern entlang, erreichten die Landstraße, die freien Felder, die weiten Felder, wo die Luft mächtig dahinströmte gleich den Wogen der offenen See. Und sie erstickten nicht mehr; sie fanden hier ihre Kindheit wieder. Sie fühlten, wie das Schwindelgefühl im Kopf, die Trunkenheit, die aus den hohen Gräsern des SaintMittre Hofes aufgestiegen war, verflog.
    Zwei Sommer lang streiften sie in dieser Gegend umher. Bald kannte sie jeder Felsvorsprung, jede Rasenbank, und es gab keine Baumgruppe, keine Hecke, keinen Strauch, mit denen sie nicht Freundschaft schlossen. Sie verwirklichten ihre Träume: sie rannten wie toll über die SainteClaireWiesen, und Miette konnte tüchtig laufen, und Silvère mußte gewaltige Sprünge machen, um sie einzuholen. Sie nahmen auch Elsternester aus. Miette, die durchaus vorführen wollte, wie sie in Chavanoz auf die Bäume geklettert war, band sich mit einem Stück Schnur die Röcke zusammen und kletterte auf die höchsten Pappeln; unten stand zitternd Silvère und breitete die Arme aus, als wolle er Miette auffangen, falls sie ausrutschte. Durch diese Spiele wurden ihre Sinne zum Schweigen gebracht, und eines Abends hätten sie sich fast geprügelt wie zwei Gassenbuben, die aus der Schule kommen. Doch es gab in dem weiten Land auch noch Schlupfwinkel, die Gefahren für sie bargen. Solange sie wanderten, geschah es mit frohem Gelächter, Püffen und Neckereien; sie legten ganze Meilen zurück, gingen manchmal bis zur Kette der Garrigues, wählten die schmalsten Pfade und strolchten oft querfeldein. Die ganze Gegend gehörte ihnen; sie lebten dort wie in einem eroberten Land und freuten sich der Erde und des Himmels. Mit dem weiten Gewissen der Frauen fand Miette sogar nichts dabei, Trauben von den Rebstöcken zu pflücken oder einen Zweig mit grünen Früchten von den Mandelbäumen, deren Zweige sie im Vorübergehen peitschten. Das vertrug sich nicht mit den strengen Grundsätzen Silvères, er wagte jedoch nicht, das Mädchen zurechtzuweisen, denn es machte ihn todunglücklich, wenn sie, was selten genug geschah, schmollte. Ach, die Schlimme! dachte er in jugendlicher Übertreibung. Sie wäre imstande, einen Dieb aus mir zu machen! Worauf ihm Miette sein Teil der gestohlenen Früchte in den Mund steckte. Hinsichtlich der Listen, die er anwandte, um sie von ihrem triebhaften Hang, von fremdem Gut zu naschen, abzuhalten – er legte seinen Arm um sie, machte einen Bogen um die Obstbäume, ließ sich die Weingärten entlang von ihr jagen –, war seine Einbildungskraft bald erschöpft. Dann zwang er sie, sich hinzusetzen. Jetzt fingen bei ihnen die Beklemmungen von neuem an. Namentlich die Schluchten der Viorne waren für sie von erregendem Dunkel erfüllt. Wenn die Ermüdung sie ans Flußufer zurückführte, war es um ihre schöne Kinderfröhlichkeit geschehen. Graue Schatten trieben unter den Weiden dahin, ähnlich den nach Moschus duftenden Schleiern eines Frauenkleides. Die Kinder fühlten, wie diese duftenden und von den wonnigweichen Schultern der Nacht noch warmen Schleier ihnen die Schläfen streichelten und sie in eine unbezwingliche Ermattung hüllten. In der Ferne zirpten die Grillen in den SainteClaireWiesen, und aus der Viorne zu ihren Füßen stieg es auf wie verliebte Flüsterstimmen, wie gedämpftes Geräusch von feuchten Lippen. Vom schlafenden Himmel fiel heißer Sternenregen. Und erschauernd mit diesem Himmel, diesem Wasser, diesem Schatten, lagen die Kinder völlig kraftlos nebeneinander im hohen Gras auf dem Rücken, den Blick verloren ins Dunkel gerichtet, tasteten nach ihren Händen und tauschten einen kurzen Druck.
    Silvère, der eine dunkle Empfindung von der Gefahr solcher

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