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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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kopflosen Rettungsversuchen Miettes, wobei sie sich dem jungen Burschen an den Hals hängte. Die Kühle des Bades versetzte sie in kristallene Reinheit. Als zwei unschuldsvolle, nackte, lachende Kinder vergnügten sie sich in der lauen Sommernacht unter dem erschlafften Laub. Nach den ersten Bädern machte sich Silvère heimlich Vorwürfe, daß er überhaupt an etwas Böses gedacht hatte. Miette zog sich so schnell aus und war so frisch in seinen Armen, lachte so hell!
    Nach vierzehn Tagen aber konnte sie bereits schwimmen. Herrin ihrer Glieder, gewiegt von den Fluten, mit denen sie jetzt spielte, überließ sie sich der weichen Schmiegsamkeit des Flusses, der Stille des Himmels, dem Träumen der schwermütigen Uferböschungen.
    Wenn sie beide geräuschlos dahinschwammen, glaubte Miette zu sehen, wie das Laub auf beiden Ufern dichter wurde, sich über sie neigte und ihr Versteck mit riesigen Vorhängen verhing. Und an mondhellen Abenden glitt der Schimmer zwischen den Baumstämmen hindurch, sanfte Gestalten wandelten in weißen Gewändern am Ufer hin. Miette hatte keine Angst. Eine unerklärliche Erregung stieg in ihr auf, wenn sie dem Spiel der Schatten folgte. Während sie mit langsamen Bewegungen weiterschwamm, kräuselte sich das stille Wasser, das im Mondlicht wie ein klarer Spiegel vor ihr lag, bei ihrem Näherkommen wie ein silberdurchwirktes Gewebe; die Ringe wurden weiter, verloren sich im Dunkel der Ufer unter den herabhängenden Weidenzweigen, von wo man geheimnisvolles Plätschern vernahm. Und so fand sie bei jedem Ausgreifen ihrer Arme von Stimmen erfüllte Stellen, dunkle Tiefen, an denen sie schneller vorüberschwamm, Gebüsche, Baumreihen, deren finstre Massen ständig die Form veränderten, länger wurden und ihr von der Höhe des Ufers aus zu folgen schienen. Schwamm sie auf dem Rücken, so war sie wiederum von der Tiefe des Nachthimmels ergriffen. Vom Land her, von den Weiten, die sie nicht mehr sah, hörte sie dann eine ernste, lange nachhallende Stimme aufsteigen, die alle Seufzer der Nacht in sich vereinigte.
    Miette war von Natur keine Träumerin, sie genoß mit ihrem ganzen Körper, mit allen Sinnen Himmel, Fluß, Schatten und Lichter. Der Fluß vor allem, dies Gewässer, diese bewegliche Fläche, trug sie mit unendlicher Zärtlichkeit dahin. Wenn sie gegen den Strom schwamm, empfand sie mit großem Genuß, wie das Wasser schneller an ihrer Brust und an ihren Beinen entlanglief; es war ein lang anhaltendes, sehr sanftes Kitzeln, das sie ohne jedes nervöse Lachen zu ertragen vermochte. Sie tauchte tiefer ins Wasser, so daß es ihr bis an die Lippen reichte, damit die Strömung über ihre Schultern hinwegglitt, sie vom Kinn bis zu den Füßen gänzlich in ihren flüchtigen Kuß einhüllte. Sie hatte Augenblicke der Erschlaffung, in denen sie reglos auf dem Wasser ruhte, während kleine Wellen weich zwischen ihrem Badeanzug und ihrer Haut hindurchschlüpften und dabei den Stoff aufblähten. Dann wieder wälzte sie sich auf der stillen Wasserfläche abseits der Strömung wie eine Katze auf einem Teppich; und sie schwamm aus der schimmernden Flut, in der sich der Mond badete, in das dunkle, vom Laubwerk verschattete Wasser, mit einem Frösteln, als habe sie eine durchsonnte Ebene verlassen, und spürte, wie die Kühle der Zweige ihr auf den Nacken fiel.
    Jetzt ging sie schon beiseite, um sich anzuziehen, sie verbarg sich. Im Wasser verhielt sie sich still, sie wollte nicht mehr von Silvère berührt sein; leise glitt sie an seine Seite und machte beim Schwimmen nicht mehr Geräusch als ein Vögelchen, das durch ein Gebüsch fliegt; manchmal umkreiste sie ihn, von unbestimmter Furcht ergriffen, die sie sich nicht zu erklären versuchte. Auch er wich aus, wenn er eins ihrer Glieder streifte. Der Fluß brachte beiden nur noch eine weiche Trunkenheit, eine wohlige Betäubung, die sie seltsam verwirrte. Namentlich wenn sie aus dem Bade kamen, fühlten sie sich schläfrig und wie geblendet. Sie waren wie erschöpft. Miette brauchte eine gute Stunde zum Ankleiden. Zuerst warf sie nur ihr Hemd und einen Rock über, dann streckte sie sich ins Gras, klagte über Müdigkeit, rief nach Silvère, der sich mit leerem Kopf und einer eigenartigen und erregenden Mattigkeit der Glieder ein paar Schritte von ihr entfernt hielt. Auf dem Heimweg war dann ihre Umarmung heißer, deutlicher spürten sie durch die Kleidung hindurch ihre vom Bad geschmeidiger, gewordenen Körper; von Zeit zu Zeit blieben sie stehen und

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