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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Überraschung und Schrecken auf diese Farandolen51, diese Wirbel der Begeisterung, die an ihnen vorüberzogen.
    »So ein Lumpenpack!« brummte der Kommandant, auf ein Fenstersims gestützt wie auf die samtbekleidete Brüstung einer Theaterloge. »Und dabei kommen nicht einmal ein oder zwei Batterien, um mit diesem Pöbel aufzuräumen!« Dann bemerkte er Miette und fügte, zu Herrn Garçonnet gewandt, hinzu: »Sehen Sie doch, Herr Bürgermeister, dieses große rote Mädchen da unten! Es ist eine Schande! Sie haben ihre Frauenzimmer mitgeschleppt. Wenn das noch lange dauert, werden wir was Schönes erleben.«
    Herr Garçonnet schüttelte den Kopf und sprach von den »entfesselten Leidenschaften« und den »schlimmsten Tagen unserer Geschichte«. Herr Peirotte, weiß wie ein Laken, verhielt sich still; nur ein einziges Mal tat er den Mund auf, um zu Sicardot, der immer noch bissig geiferte, zu sagen: »Sprechen Sie doch leiser, mein Herr! Sonst werden wir noch alle niedergemacht.«
    In Wirklichkeit behandelten die Aufständischen diese Herren mit der größten Milde. Sie ließen ihnen sogar am Abend eine vortreffliche Mahlzeit vorsetzen. Aber Angsthasen wie der Herr Steuerdirektor fanden solche Aufmerksamkeiten erschreckend: Die Aufständischen bewirteten sie sicher nur deshalb so gut, damit sie an dem Tag, an dem sie sie auffressen würden, desto fetter und zarter seien.
    Als der Abend dämmerte, sah sich Silvère seinem Vetter Pascal, dem Arzt, gegenüber. Der Gelehrte hatte den Zug zu Fuß begleitet und sich mit den Arbeitern unterhalten, die ihn verehrten. Zuerst hatte er versucht, sie vom Kampf abzubringen; später aber, als hätten ihre Reden ihn gewonnen, sagte er mit dem Lächeln eines wohlwollenden Unbeteiligten zu ihnen: »Ihr habt vielleicht recht, meine Freunde. Schlagt euch, ich bin ja da, um euch Arme und Beine zu flicken!«
    Und am Morgen hatte er gelassen angefangen, Steine und Pflanzen am Wegrand zu sammeln. Er war ganz unglücklich darüber, daß er seinen Geologenhammer und seine Botanisiertrommel nicht mitgenommen hatte. Jetzt waren seine Taschen zum Bersten voll von Steinen, und aus seiner Instrumententasche, die er unter dem Arm trug, hingen ganze Büschel langer Gräser heraus.
    »Sieh da, du bist es, mein Junge!« rief er, als er Silvère bemerkte. »Ich glaubte, ich sei hier der einzige von der Familie.« Die letzten Worte sprach er mit einiger Ironie in leisem Spott über das Gebaren seines Vaters und Onkel Antoines.
    Silvère war froh, seinen Vetter zu treffen; der Doktor war der einzige Rougon, der ihm die Hand gab, wenn er ihm auf der Straße begegnete, und der ihm aufrichtige Freundschaft bewies. Daher bezeigte der junge Bursche lebhafte Freude, als er Pascal mit dem Staub des langen Weges bedeckt sah und ihn der republikanischen Sache gewonnen glaubte. Mit jugendlicher Begeisterung sprach er zu ihm von den Rechten des Volkes, von dessen heiliger Sache und dem sicheren Sieg.
    Pascal hörte ihm lächelnd zu und beobachtete dabei aufmerksam seine Bewegungen, sein leidenschaftliches Mienenspiel, als studiere er ein Objekt, seziere er eine Begeisterung, um zu sehen, was hinter dieser hochherzigen Erregung stecke. »Wie du redest! Wie du redest! Man sieht, daß du der Enkel deiner Großmutter bist!« Und im Ton eines Chemikers, der sich Notizen macht, fügte er leise hinzu: »Hysterie oder Begeisterung, schmähliche Narrheit oder erhabene Narrheit – immer diese verteufelten Nerven!« Dann faßte er, ganz laut seine Schlüsse ziehend, seine Gedanken in die Worte zusammen: »Die Familie ist vollständig. Jetzt wird sie auch ihren Helden haben.«
    Silvère hatte nicht zugehört. Er redete immer noch von seiner geliebten Republik. Einige Schritte entfernt war Miette stehengeblieben, die noch ihre weite rote Pelisse anhatte; sie wich nicht mehr von Silvères Seite, Arm in Arm hatten sie die Stadt durchstreift.
    Dieses große rote Mädchen erweckte schließlich Pascals Neugierde; er unterbrach plötzlich seinen Vetter und fragte:
    »Wer ist denn das Mädchen, das du da bei dir hast?«
    »Das ist meine Frau«, antwortete Silvère ernst.
    Der Doktor riß die Augen auf. Er begriff nicht. Und da er Frauen gegenüber sehr schüchtern war, zog er, als er weiterging, tief den Hut vor Miette.
    Die Nacht wurde unruhig. Ein Hauch von Unheil wehte über die Aufständischen hinweg. Die Begeisterung, das Zutrauen des vergangenen Tages schienen von der Dunkelheit verschluckt worden zu sein. Am Morgen sahen die

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