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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Vorplatzes, um die Soldaten zu sehen. Die Reihen lösten sich auf. Und als die dunkle, gut ausgerichtete Linie der Truppe mit dem breiten Blitzen ihrer Bajonette hinter dem graugrünen Vorhang der Olivenbäume zum Vorschein kam, gab es eine Bewegung nach rückwärts, eine Verwirrung, die von einem Ende bis zum anderen des Plateaus ein panisches Entsetzen laufen ließ.
    Unterdessen hatten sich mitten in der Anlage die Abteilungen aus La Palud und SaintMartindeVaulx wieder geordnet und standen in trotziger, aufrechter Haltung da. Ein Holzfäller, ein Riese, der seine Kameraden um Haupteslänge überragte, schrie unter Schwenken einer roten Halsbinde: »Hierher, ihr Leute von Chavanoz, Graille, Poujols, SaintEutrope! Hierher Les Tulettes, hierher Plassans!«
    Große Menschenströme zogen über den Vorplatz. Der Mann mit dem Säbel, umgeben von Leuten aus Faverolles, entfernte sich mit mehreren Abteilungen der Landgemeinden Vernoux, Corbière, Marsanne, Pruinas, um den Feind zu umgehen und ihn in der Flanke zu fassen. Andere, die Leute von Valqueyras, Nazère, CastelleVieux, Les RochesNoires, Murdaran, warfen sich nach links und zerstreuten sich als Plänkler in der Ebene von Nores.
    Und während sich die Anlage leerte, vereinigten sich die Städte und Dörfer, die der Holzfäller zu Hilfe gerufen hatte, und bildeten unter den Ulmen eine dunkle, unregelmäßige Masse, entgegen allen Regeln der Kriegskunst aufgestellt, aber wie ein Block hierhergewälzt, um den Weg zu versperren oder zu sterben. Inmitten dieser heldenhaften Schar befand sich Plassans. Zwischen den grauen Farbtönen der Kittel und Westen und den bläulich schimmernden Waffen bildete der Mantel Miettes, die die Fahne mit beiden Händen umklammert hielt, einen großen roten Fleck, wie eine frische, blutende Wunde.
    Plötzlich entstand eine große Stille. An einem der Fenster des »MuleBlanche« erschien das bleiche Gesicht Herrn Peirottes. Er sprach und bewegte dabei die Arme.
    »Zurück! Läden schließen!« brüllten die Aufständischen wütend. »Sonst werdet ihr erschossen!«
    Hastig schlossen sich die Fensterläden, und man hörte nichts mehr als den gleichmäßigen Schritt der näher rückenden Soldaten.
    Eine endlose Minute verstrich. Die Truppe war verschwunden, eine Bodenfalte entzog sie den Blicken, und bald sahen die Aufständischen von der Ebene her Bajonettspitzen aus dem kahlen Boden wachsen, größer und größer werden und unter der aufgehenden Sonne wogen wie ein Kornfeld mit stählernen Ähren. Silvère, von Aufregung geschüttelt, glaubte in diesem Augenblick die Gestalt des Gendarmen vorübergehen zu sehen, dessen Blut seine Hände befleckt hatte; er wußte aus Berichten seiner Kameraden, daß Rengade nicht tot war, sondern lediglich ein Auge verloren hatte, und er erkannte ihn jetzt deutlich, mit der leeren, blutenden, schrecklichen Augenhöhle. Der quälende Gedanke an diesen Menschen, an den er, seit er Plassans verlassen, nicht mehr gedacht hatte, wurde ihm jetzt unerträglich. Er fürchtete, Angst zu bekommen. Heftig umklammerte er seine Flinte; die Augen von einem Nebel verschleiert, brannte er darauf, seine Waffe abzufeuern und das Bild des Einäugigen durch Schüsse zu verjagen. Langsam stiegen die Bajonette immer höher.
    Als die Köpfe der Soldaten über dem Rand des Vorplatzes auftauchten, wandte sich Silvère unwillkürlich nach Miette um. Sie stand da, größer geworden, mit rosigem Gesicht, umflossen von den Falten der roten Fahne; sie reckte sich auf die Zehenspitzen, um die Truppe zu sehen, ihre Nasenflügel zitterten vor nervöser Erwartung, und ihre weißen Zähne, die eines jungen Wolfes, zeigten sich im Rot der Lippen. Silvère lächelte ihr zu. Noch hatte er den Kopf nicht zurückgedreht, als eine Gewehrsalve krachte. Die Soldaten, die man einstweilen nur bis zu den Schultern sah, hatten das Feuer eröffnet. Es schien Silvère, als fege ein heftiger Windstoß über seinen Kopf hinweg, während ein Regen von Blättern, die die Kugeln abgerissen hatten, von den Ulmen herabfiel. Ein Knacken, wie wenn ein dürrer Ast zerbricht, ließ ihn nach rechts schauen. Er sah den großen Holzfäller, der einen Kopf größer war als die andern, mit einem kleinen schwarzen Loch mitten in der Stirn am Boden liegen. Da feuerte er seine Flinte ab, blindlings, ohne zu zielen, lud wieder und schoß aufs neue. Und so immer wieder, wie ein Rasender, wie ein Tier, das an nichts denkt, das nur möglichst schnell töten will. Er sah nicht

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