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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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sein, vereint und gemeinsam fortgerissen von einem Sturm des Zorns. In dem Schatten, den die hohen Böschungen auf die ganze Straße warfen, ließen sich die seltsamen Einzelheiten dieses Schauspiels schlecht erkennen. Doch fünf oder sechs Schritt entfernt von dem Gebüsch, das Silvère und Miette barg, fiel die linke Böschung ab und gab einem kleinen Pfad längs der Viorne Raum, und der Mondschein, der durch diese Lücke glitt, warf einen breiten Lichtstreifen auf die Straße. Als die ersten Aufständischen diesen Streifen erreichten, fanden sie sich plötzlich angestrahlt von einer Helligkeit, deren grelles Weiß die geringsten Konturen ihrer Gesichter und ihrer Kleidung in besonderer Deutlichkeit heraushob. Während die Kontingente vorbeizogen, sahen die jungen Leute sie dicht vor sich, wild und in immer neuer Folge plötzlich aus dem Dunkel hervorquellend.
    Sobald die ersten Männer in den Lichtschein traten, schmiegte sich Miette unwillkürlich an Silvère, obwohl sie sich sicher fühlte, sogar vor Blicken geschützt. Sie schlang den Arm um den Hals des Burschen und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Das blasse Antlitz von der Mantelkapuze umrahmt, stand sie da, die Augen auf dieses leuchtende Viereck geheftet, das seltsame Gesichter durcheilten, verklärt von Begeisterung, den Mund offen und schwarz, ganz erfüllt vom Racheschrei der Marseillaise.
    Silvère fühlte, wie Miette an seiner Seite zitterte. Jetzt neigte er sich zu ihrem Ohr und nannte ihr die verschiedenen Abteilungen, wie sie an ihnen vorüberkamen.
    Die Kolonne marschierte in Reihen zu acht Mann. An der Spitze große, starke Kerle mit eckigen Schädeln. Sie schienen Herkuleskräfte zu haben und die kindliche Gläubigkeit von Riesen. In ihnen mußte die Republik blinde und unerschrockene Verteidiger finden. Über der Schulter trugen sie große Äxte, deren frisch geschliffene Schneiden im Mondschein blitzten.
    »Das sind die Holzhauer aus den Seille6Wäldern«, sagte Silvère. »Man hat sie zu einer Sappeurabteilung zusammengefaßt. Auf einen Wink ihrer Anführer würden diese Leute bis nach Paris marschieren und die Stadttore mit ihren Äxten einschlagen, genauso, wie sie im Gebirge die alten Korkeichen fällen …« Der junge Bursche sprach mit Stolz von den groben Fäusten seiner Brüder. Als er hinter den Holzfällern eine Rotte Arbeiter und rauhbärtiger, sonngebräunter Männer ankommen sah, fuhr er fort: »Das ist das Kontingent von La Palud. Das ist der erste Flecken, der sich erhoben hat. Die Männer in den Kitteln bearbeiten die Korkeichen. Die andern, die mit den Samtwesten, werden wohl Jäger sein und Köhler aus den Schluchten des SeilleGebirges … Die Jäger haben deinen Vater gekannt, Miette. Sie haben gute Waffen und wissen sie geschickt zu handhaben. Ach, wären doch alle so gut bewaffnet! Es fehlt an Gewehren. Sieh, die Arbeiter haben nur Stöcke.«
    Miette schaute, horchte, schwieg. Das Blut stieg ihr heftig in die Wangen, als Silvère zu ihr von ihrem Vater sprach. Mit glühendem Gesicht musterte sie die Jäger, halb zornig, halb mit einer seltsamen Zuneigung. Von diesem Augenblick an schienen die Fieberschauer, die die Gesänge der Aufständischen in ihnen hervorriefen, sie langsam zu beleben.
    Die Kolonne, die soeben von neuem die Marseillaise angestimmt hatte, stieg, wie gepeitscht vom rauhen Atem des Mistral7, weiter zu Tal. Den Leuten aus La Palud war eine andere Arbeitergruppe gefolgt, darunter eine ziemlich große Anzahl von Bürgern im Überrock.
    »Das hier sind die Leute aus SaintMartinde Vaulx«, fing Silvère wieder an. »Dieses Dorf hat sich fast gleichzeitig mit La Palud erhoben … Die Brotherren haben sich ihren Arbeitern angeschlossen. Es gibt dort reiche Leute, Miette – Reiche, die sorglos zu Hause leben könnten und die dennoch ihr Leben für die Verteidigung der Freiheit aufs Spiel setzen. Solche Reichen muß man gern haben … Immer noch fehlt es an Waffen; kaum ein paar Jagdflinten … Siehst du die Männer mit der roten Binde um den Arm, Miette? Das sind die Anführer.«
    Doch Silvère kam nicht mehr mit. Die Kontingente stiegen schneller zu Tal, als seine Worte sie beschreiben konnten. Noch sprach er von den Leuten aus SaintMartindeVaulx, als schon zwei neue Scharen den Lichtstreifen auf dem Wege überquert hatten.
    »Hast du gesehen?« fragte er. »Eben sind die Aufständischen aus Alboise und Les Tulettes vorbeigekommen. Ich habe Burgat erkannt, den Schmied … Sie werden erst heute zur Truppe

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