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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Waffen ausgegeben hast.«
    »Ich, ich!« stotterte er. »Aber man hat mich betrogen, man hat mich bestohlen! Dieser Esel, der Sicardot, hat mich hereingelegt mit seiner Versicherung, daß die Napoleons siegen würden. Ich glaubte nur einen Vorschuß zu leisten. Aber dieser alte Dummkopf muß mir unbedingt mein Geld zurückgeben!«
    »Pah, nichts wird man dir zurückgeben«, erwiderte seine Frau achselzuckend. »Wir müssen die Schläge des Krieges auf uns nehmen. Wenn wir alles bezahlt haben, bleibt uns kein Stück Brot mehr. Ach, ein schöner Feldzug ist das! – Wir können fortan in irgendeinem Loch in der Altstadt hausen.« Dieser letzte Satz klang düster. Es war das Grabgeläut ihres Daseins.
    Pierre sah schon das Loch in der Altstadt vor sich, dessen Bild seine Frau vor ihm heraufbeschwor. Dort also sollte er enden, auf einem elenden Bett, nachdem er sich sein ganzes Leben lang nach saftigen und leicht erreichbaren Genüssen gesehnt hatte. Vergebens hatte er also seine Mutter bestohlen, die Hand in die schmutzigsten Ränke gesteckt, jahrelang gelogen. Das Kaiserreich würde seine Schulden nicht bezahlen, dieses Kaiserreich, das allein ihn vom Untergang retten konnte. Er sprang im Hemd aus dem Bett und schrie:
    »Nein, ich nehme ein Gewehr, es ist mir lieber, daß die Aufständischen mich töten.«
    »Das«, entgegnete Félicité mit großer Ruhe, »kannst du morgen oder übermorgen tun, denn die Republikaner sind nicht weit weg. Das ist kein besseres Mittel zum Schlußmachen als andere.«
    Pierre erstarrte. Ihm war, als gösse ihm plötzlich jemand einen Eimer kaltes Wasser über die Schultern. Langsam legte er sich wieder hin, und zwischen den warmen Laken fing er an zu weinen. Dieser schwerfällige Mensch brach leicht in Tränen aus, in sanfte, unversieglich fließende Tränen, die ihm mühelos aus den Augen rollten. Eine unvermeidliche Reaktion vollzog sich in ihm. Sein ganzer Zorn ging über in ein Sichgehenlassen, in kindliches Wehklagen. Félicité, die diese Krise erwartet hatte, empfand eine jähe Freude, als sie ihn so weich, so ausgeleert, so hilflos vor sich sah. Sie behielt ihre stumme Haltung, ihre verzweifelte Demut bei. Nach einem langen Schweigen ließ der Anblick dieser in stummem Schmerz versunkenen Frau, die jede Hoffnung aufgegeben hatte, Pierres Tränen noch reichlicher fließen.
    »Aber so sprich doch!« flehte er. »Laß uns zusammen einen Ausweg suchen. Gibt es denn wirklich keine rettende Planke?«
    »Keine, das weißt du ja selber«, antwortete sie, »du hast ja selbst soeben die Lage geschildert. Wir haben von niemandem Hilfe zu erwarten, sogar unsere Kinder haben uns verraten.«
    »Dann laß uns fliehen … Sollen wir Plassans noch diese Nacht verlassen, sofort?«
    »Fliehen? Aber, armer Freund, wir wären morgen allgemeines Stadtgespräch … Denkst du denn gar nicht daran, daß du die Stadttore hast schließen lassen?«
    Pierre kämpfte mit sich; er strengte seinen Geist außergewöhnlich an. Dann murmelte er wie vernichtet und mit flehender Stimme:
    »Ich bitte dich, laß du dir etwas einfallen. Du hast ja noch gar nichts gesagt.«
    Félicité hob in gespielter Überraschtheit den Kopf und sagte mit einer Gebärde völligen Unvermögens:
    »Ich bin gänzlich ahnungslos in diesen Dingen, ich verstehe nichts von Politik, das hast du mir hundertmal gesagt.« Und da ihr Mann verlegen und mit niedergeschlagenen Augen schwieg, fuhr sie langsam und ohne Vorwurf fort: »Du hast mich über deine Angelegenheiten nicht auf dem laufenden gehalten, nicht wahr? Ich weiß in nichts Bescheid, ich kann dir nicht einmal einen Rat geben … Du hast übrigens gut daran getan; Frauen sind manchmal schwatzhaft, und es ist hundertmal besser, die Männer steuern das Schiff ganz allein.«
    Sie gab das mit so feiner Ironie von sich, daß ihr Mann die Grausamkeit ihres Spottes nicht herausfühlte. Er empfand nur schwere Gewissensbisse. Und plötzlich begann er zu beichten. Er sprach von Eugènes Briefen; er setzte seine Pläne auseinander, erklärte seine ganze Haltung mit der Beredsamkeit eines Menschen, der sein Gewissen prüft und einen Retter anfleht. Alle Augenblicke unterbrach er sich, um zu fragen: »Was hättest du, du selbst, an meiner Stelle getan?« Oder er rief: »Nicht wahr, ich hatte recht, ich konnte nicht anders handeln!«
    Félicité geruhte nicht einmal, ein Zeichen der Teilnahme zu geben. Sie hörte ihm mit der mürrischen Strenge eines Richters zu. Im Inneren genoß sie köstliche

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