Das Glück der Familie Rougon - 1
wirklich nötig sei, den Aufstand, den Macquart vorbereitete, durchzuführen.
»Die Leute schimpfen nicht mehr«, sagte er. »Du hättest sehen sollen, wie mich die Herren aus der Neustadt gegrüßt haben! Es scheint mir jetzt nicht mehr notwendig, Menschen umzubringen. Nun, was hältst du davon? Wir werden unser Schäfchen auch so ins trockene bringen.«
»O du Waschlappen!« rief Félicité voller Zorn. »Du selber bist auf den Gedanken gekommen, und nun machst du einen Rückzieher! Ich sage es ja, ohne mich wirst du nie etwas zustande bringen! – Geh doch, geh deiner Wege. Glaubst du, die Republikaner würden dich schonend behandeln, wenn sie dich in die Hände bekämen?«
Als Rougon wieder auf dem Bürgermeisteramt war, bereitete er die Falle vor. Granoux war ihm dabei von großem Nutzen. Er schickte ihn mit Befehlen zu den verschiedenen Posten, die die Wälle bewachten; die Nationalgardisten sollten sich in kleinen Abteilungen so heimlich wie möglich zum Rathaus begeben. Roudier, dieser in die Provinz verschlagene Großstädter, der mit seinem Geschwätz von Menschlichkeit die ganze Sache hätte verderben können, wurde überhaupt nicht benachrichtigt. Gegen elf Uhr war der Hof des Rathauses voll von Nationalgardisten. Rougon jagte ihnen einen tüchtigen Schrecken ein; er teilte ihnen mit, daß die in Plassans verbliebenen Republikaner einen verzweifelten Handstreich beabsichtigten, und machte sich ein Verdienst daraus, rechtzeitig durch seine Geheimpolizei davon Kenntnis erhalten zu haben. Nachdem er ihnen in blutigen Farben das Gemetzel in der Stadt ausgemalt hatte, falls diese Verruchten die Macht an sich rissen, gab er den Befehl, kein Wort mehr zu reden und alle Lichter zu löschen. Er selber ergriff ein Gewehr. Seit dem frühen Morgen ging er umher wie im Traum: er erkannte sich selbst nicht wieder; er fühlte Félicité, in deren Hand ihn die nächtliche Krise gegeben hatte, in seinem Rücken und hätte sich aufhängen lassen und dabei gesagt: »Das macht nichts, meine Frau wird schon kommen und mich herunterholen.« Um den Lärm noch zu verstärken und einen noch anhaltenderen Schrecken auf die schlafende Stadt herabzuschicken, bat er Granoux, zur Kathedrale zu gehen und Sturm läuten zu lassen, sobald die ersten Schüsse fielen. Der Name des Marquis sollte ihm beim Küster Einlaß verschaffen. Und in der Dunkelheit warteten im finsteren Schweigen des Hofes die von Angst verstörten Nationalgardisten, die Augen starr auf den Eingang gerichtet, ungeduldig darauf, schießen zu dürfen, als lauerten sie auf dem Anstand auf ein Rudel Wölfe.
Macquart hatte unterdessen den Tag bei Tante Dide zugebracht. Er hatte sich auf der alten Truhe ausgestreckt und dachte mit Bedauern an das Ruhebett des Herrn Garçonnet. Mehrmals überfiel ihn eine tolle Lust, seine zweihundert Francs in einem benachbarten Café anzubrechen. Dieses Geld, das er in eine seiner Westentaschen gesteckt hatte, versengte ihm die Haut; er vertrieb sich die Zeit damit, es in Gedanken auszugeben. Seine Mutter, zu der seit einigen Tagen ihre Kinder, bestürzt und mit blassen Gesichtern, gelaufen kamen, ohne daß sie aus ihrer Schweigsamkeit herausgetreten wäre und ihr Gesicht seine erstorbene Unbeweglichkeit verloren hätte, ging mit den steifen Bewegungen eines Automaten um ihn herum und schien seine Gegenwart nicht einmal zu bemerken. Nichts wußte sie von den Ängsten, die die eingeschlossene Stadt verwirrten; sie war tausend Meilen weit von Plassans entfernt, in jene ständige fixe Idee verstiegen, von der ihre Augen gedankenleer und immer weit geöffnet waren. Jetzt aber ließ eine Unruhe, irgendeine menschliche Sorge ihre Lider für Augenblicke auf und nieder gehen.
Antoine, der auf die Dauer dem Verlangen, einen guten Happen zu essen, nicht zu widerstehen vermochte, schickte seine Mutter in ein Gasthaus der Vorstadt, um ein gebratenes Huhn zu holen. Als er am Tische saß, meinte er:
»Na, du kommst wohl nicht oft dazu, Hühnerbraten zu essen? Der ist für Leute, die arbeiten und ihr Geschäft verstehen. Du, du hast immer alles vertan … Ich wette, du gibst alle deine Ersparnisse diesem scheinheiligen Silvère. Er hat eine Liebste, dieser Duckmäuser. Verlaß dich drauf, wenn du in irgendeinem Winkel einen Sparstrumpf verborgen hast, wird er ihn dir eines schönen Tages hübsch ausnehmen.« Er grinste, er glühte vor wilder Freude. Das Geld in seiner Tasche, der Verrat, den er vorbereitete, die Gewißheit, sich teuer verkauft zu
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